Plötzlich da: In unserem Erbgut entstehen ständig neue Gene spontan und quasi aus dem Nichts. Wie Forscher jetzt herausgefunden haben, bilden sich die Kandidaten für solche proteinkodierenden DNA-Abschnitte permanent aus der sogenannten Junk-DNA. Ein Großteil dieser Genvorläufer verschwindet allerdings schnell wieder. Nur aus einigen wenigen gehen wirklich funktionstüchtige Gene hervor – Code-Abschnitte, die einem Organismus grundlegend neue Eigenschaften bescheren können.
Kopieren und schrittweise verändern ist einfacher, als etwas völlig Neues zu entwickeln: Lange Zeit dachten Forscher, dieses Prinzip gelte auch für die Evolution von Genen. Demnach entstehen neue proteinkodierende Abschnitte der DNA durch die Vervielfältigung und punktuelle Veränderung bereits bestehender Gene. Dass vollständig neue Gene und damit neue Eigenschaften quasi aus dem Nichts auftauchen, galt dagegen jahrzehntelang als undenkbar.
Inzwischen beginnt dieses Dogma jedoch zu kippen. Denn jüngere Studien deuten darauf hin, dass Gene sehr wohl aus dem Nichts entstehen können – genauer gesagt: aus sogenannter Junk-DNA. Dies sind Erbgutabschnitte, die nicht für Proteine kodieren, also keine „echten“ Gene enthalten. Doch wie häufig bilden sich in diesem Teil unseres DNA-Codes Kandidaten für neue Gene und wie viele davon setzen sich im Laufe der Evolution dann auch tatsächlich durch?
Neuen Genen auf der Spur
Dieser Frage sind nun Wissenschaftler um Jonathan Schmitz von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster nachgegangen. Sie haben die frühesten Stadien der Entstehung dieser Gene aus dem Nichts unter die Lupe genommen – und dafür das Erbgut von vier Säugetierarten untersucht: Maus, Ratte, Kängururatte und Opossum.
Letzteres gehört zu den Beuteltieren, deren Evolutionslinie sich früh von dem Zweig der Höheren Säugetiere abgespalten hat. Durch den Vergleich mit dieser Spezies konnten die Forscher somit 160 Millionen Jahre der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere abdecken. Konkret fahndeten sie dabei nach sogenannten offenen Leserahmen im DNA-Code – speziellen Sequenzen, die häufig als Bauanleitungen für Proteine dienen.
Genvorläufer entstehen permanent
Die Auswertung zeigte: „Neue offene Leserahmen, also die Kandidaten für Bauanleitungen für neue Proteine, entstehen in nichtkodierenden DNA-Regionen permanent“, berichtet Schmitz‘ Kollege Erich Bornberg-Bauer. Demnach entstehen im Vergleich viel weniger solcher Genkandidaten durch Veränderungen in proteinkodierenden Erbgutabschnitten.
Doch während neue Genvorläufer aus bewährten Genen meist lange im Erbgut erhalten bleiben, verschwinden die Genkandidaten aus dem Nichts und die daraus hervorgegangenen Transkripte meist so spontan wie sie entstanden sind: „Ein Großteil dieser neuen Kandidaten verschwindet ziemlich schnell wieder – wahrscheinlich, weil sie keine nützliche Funktion haben“, schreiben die Forscher.
Erklärung für grundlegend neue Eigenschaften
Aus manchen Genvorläufern aber entwickeln sich voll funktionstüchtige Gene, wie das Team berichtet. Sie enthalten den Bauplan für funktionierende Proteine und bleiben über längere Zeit erhalten. „Diese Transkripte können dann in mehreren Abstammungslinien gefunden werden“, erklärt Bornberg-Bauer. „Wahrscheinlich können sie über lange Zeiträume hinweg das Repertoire der bestehenden Proteine ergänzen und an das molekulare Wechselspiel mit diesen angepasst werden.“
Manchmal übernimmt ein aus dem Nichts entstandenes Protein demnach tatsächlich eine Funktion im Organismus. „Damit haben wir auch eine Erklärung dafür, wie grundlegend neue Eigenschaften entstehen können. Allein durch punktuelle Veränderungen der genetischen Struktur ist das nämlich nicht erklärbar“, schließt der Forscher. (Nature Ecology an Evolution, 2018; doi: 10.1038/s41559-018-0639-7)
(Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 13.09.2018 – DAL)