Eingriff in die Evolution: Forscher haben die sogenannte Gen-Drive-Technologie erstmals erfolgreich bei Säugetieren angewandt. Sie sorgten dafür, dass ein bestimmtes Gen für die Fellfarbe bei Mäusen überdurchschnittlich häufig vererbt wird. Solche gentechnologischen Eingriffe könnten künftig die medizinische Forschung voranbringen oder bei der Schädlingsbekämpfung helfen – aus ethischer Sicht sind sie allerdings hoch umstritten.
Nach der Mendelschen Vererbungslehre gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Kopie eines Gens an die Nachkommen weitergegeben wird, ist sowohl beim Vater als auch bei der Mutter für beide Genkopien gleich. Doch diese Regel können Wissenschaftler außer Kraft setzen. Mithilfe sogenannter Gen-Drive-Technologien lässt sich dafür sorgen, dass bestimmte Allele überdurchschnittlich häufig vererbt werden.
Durch solche gentechnologischen Eingriffe ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. So haben Forscher unter anderem bereits krankheitsübertragende Stechmücken so manipuliert, dass sie an ihre Nachkommen eine Unfruchtbarkeit vererben und sich somit nicht weiter vermehren. Manipulationen wie diese sind jedoch hoch umstritten. Denn schließlich beeinflusst der Mensch damit gezielt die Evolution und hebelt die Gesetze der Natur aus – womöglich ohne die Konsequenzen absehen zu können.
Genschere als Helfer
Hannah Grunwald von der University of California in San Diego und ihre Kollegen sind nun trotzdem noch einen Schritt weitergegangen: Sie haben das bisher vor allem an Insekten erprobte Verfahren an Säugetieren angewandt – und dadurch die Fellfarbe von Mäuse-Nachwuchs beeinflusst. Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler die Mechanismen der Genschere CRISPR/Cas9. Sie veränderten das Erbgut von Mäusen so, dass es die Bauanleitung für das Enzym Cas9 sowie eine Führungs-RNA enthielt, die das Enzym zu einer bestimmten unerwünschten Sequenz des Tyrosinase-Gens leitet – ein Gen, das für die Fellfarbe der Tiere verantwortlich ist.
Cas9 zerschneidet den DNA-Strang an der anvisierten Stelle und setzt dadurch Reparaturmechanismen in Gang. Der Clou: Als Vorlage für die Reparatur dient dabei die entsprechende DNA-Sequenz des nicht geschädigten Schwesterchromosoms. Als Folge können aus zwei ursprünglich unterschiedlichen Kopien eines Gens zwei identische werden – aus Heterozygotie wird Homozygotie.
Nur bei weiblichen Mäusen erfolgreich
Wie die Forscher berichten, klappte die gewünschte Reparatur nur im Stadium der Eizellproduktion bei weiblichen Mäusen – nicht aber, wenn das Verfahren in der männlichen Keimbahn eingesetzt wurde. Im Schnitt erbten rund 70 Prozent des Mäuse-Nachwuchses das gewünschte Allel anstatt der natürlicherweise zu erwartenden 50 Prozent. Konkret bedeutete dies: Mehr Mäusebabys wurden mit weißer Fellfarbe geboren.
Ließe sich die nun erprobte Methode weiter verbessern, könnte davon zum Beispiel die medizinische Forschung profitieren. So wollen Grunwald und ihre Kollegen den Gen-Drive zum Beispiel anwenden, um Tiermodelle für genetisch komplexe Erkrankungen wie Krebs zu entwickeln. Darüber hinaus könnten die Ergebnisse aber auch relevant werden, um invasive Nagetierpopulationen unter Kontrolle zu halten.
„Ein weiterer Meilenstein“
Doch zu welchem Zweck die Methode künftig auch eingesetzt wird – sie bedeutet einen wichtigen Fortschritt, ist der nicht an der Studie beteiligte Genetiker Bruce Conklin von der University of California in San Francisco überzeugt: „Die Entwicklung einer Technik, die einen Gen-Drive bei Säugetieren erzeugt, ist ein weiterer Meilenstein in diesem spannenden Forschungsfeld“, schreibt er in einem Kommentar im Fachmagazin „Nature“. Ein Meilenstein, der gewiss weitere etische Debatten nach sich ziehen wird. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-0875-2)
Quelle: Nature Press/ University of California, San Diego