Astronomie

Interview: „Verblüffende Übereinstimmung mit der Theorie“

Astronom Anton Zensus zum ersten Foto eines Schwarzen Lochs

IRAM
Das IRAM-Observatorium in der spanischen Sierra Nevada ist Teil des Event Horizon-Teleskopverbunds und trug zum ersten Foto des Schwarzen Lochs bei. © IRAM / Nicolas Billot

Das erste Foto eines Schwarzen Lochs wurde erst durch ein Teleskop möglich, dessen virtuelle Schüssel so groß ist wie die ganze Erde – das Event Horizont Teleskop (EHT). Wie dieser Teleskopverbund funktioniert und wie die bahnbrechende Aufnahme des Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M 87 möglich wurde, erklärt Anton Zensus vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie im Interview.

Herr Zensus, wie lange läuft das Projekt Event Horizon Telescope schon?

Offiziell hat es vor zwei Jahren begonnen. Aber die Vorbereitungen dafür laufen seit einer Dekade. Und wenn man die methodischen Vorarbeiten und die Pionierarbeiten dazuzählt, dann sind es sogar 20 Jahre. Wir haben in dieser Zeit die Qualität unserer Messungen grundlegend verbessert und damit auch schon wichtige wissenschaftliche Fragen zu aktiven Galaxien wie M 87 – etwa zur Natur der gigantischen Materiejets aus deren Zentralbereichen – untersucht. So gesehen, haben wir jetzt den Höhepunkt einer langen Entwicklung erreicht.

Sie sagten, dass das EHT erst seit zwei Jahren beobachtet. Hat Sie der Erfolg nach dieser relativ kurzen Zeit überrascht?

Ja, durchaus! Erstaunlich war aber auch, dass so vieles gleich auf Anhieb geklappt hat. Schließlich besteht das Event Horizon Telescope aus einem Verbund von acht unterschiedlichen Teleskopen. Eines dieser Teleskope, ALMA genannt, steht in 5000 Metern Höhe in der chilenischen Atacama-Wüste und umfasst 66 Einzelantennen. Um diese Anlage in das EHT integrieren zu können, mussten wir alle Einzelantennen per Software zusammenschalten. Dieses „Phasing“ war für uns eine enorme technische Herausforderung und ganz essenziell für das EHT. Zudem haben uns die Wetterbedingungen in die Hände gespielt, die waren gleich zu Beginn recht gut.

Wie muss man sich eine Beobachtung mit acht Teleskopen vorstellen?

Das Stichwort heißt Interferometrie mit sehr langen Basislängen, im Englischen Very Long Baseline Interferometry, kurz VLBI, genannt. Dabei richten wir mehrere Radioteleskope, die weit voneinander entfernt stehen, gleichzeitig auf ein und dasselbe Himmelsobjekt. Die aufgefangenen Signale werden in einem Spezialcomputer – dem Korrelator – zusammengeführt. Auf diese Weise ergibt sich ein virtuelles Teleskop. Dieses liefert eine Bildschärfe, welche der einer einzigen Antenne mit dem Durchmesser des Abstands der voneinander entferntesten Antennen entspricht, im Fall des Event Horizon Telescope sind das etwa 8000 Kilometer. Stellen Sie sich vor: Wären Ihre Augen so scharf wie das EHT, könnten Sie theoretisch von Bonn aus eine Zeitung in New York lesen. Allerdings sieht das EHT kein optisches Licht, sondern Radiostrahlung mit Wellenlängen von etwas mehr als einem Millimeter.

Wie ist Ihr Institut am Event Horizon Telescope beteiligt?

Zum EHT gehört das 12-Meter-Teleskop APEX, das unser Max-Planck-Institut für Radioastronomie zusammen mit der Europäischen Südsternwarte und dem schwedischen Onsala Space Observatory betreibt. Es befindet sich nahe am ALMA-Standort. Die Max-Planck-Gesellschaft ist auch mit der IRAM 30-Meter-Antenne auf dem Pico Veleta in der spanischen Sierra Nevada und zukünftig mit dem NOEMA-Teleskop bei Grenoble beteiligt. Insgesamt arbeiten beim EHT dreizehn Partnerorganisationen aus der ganzen Welt. Schließlich betreibt unser Institut einen Supercomputer, der die Daten kalibriert und auswertet. Tatsächlich fallen gewaltige Datenmengen an, jedes der EHT-Einzelteleskope liefert täglich etwa 350 Terabytes.

Sie wussten, wonach Sie suchen, nämlich nach dem Schatten eines schwarzen Lochs. Da spielten wohl theoretische Überlegungen eine große Rolle?

Ja, den theoretischen Hintergrund liefert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie von 1915. Ebenfalls vor ungefähr hundert Jahren haben Astronomen zum ersten Mal Jets beobachtet. Das sind Gasströme, die aus den Zentren von aktiven Galaxien herausschießen und bei enorm hohen Energien erzeugt werden müssen. Seit den 1970er-Jahren vermuten wir, dass dahinter supermassereiche schwarze Löcher stecken. Die Relativitätstheorie sagt voraus, dass ein massereiches Objekt Licht ablenken kann. Der englische Astronom Arthur Eddington hat dieses Phänomen während einer totalen Sonnenfinsternis gemessen, als er eine kleine Verschiebung der Sternpositionen nahe der Sonnenscheibe beobachtete. Das war übrigens am 29. Mai 1919, also vor hundert Jahren. So schließt sich der Kreis.

Das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße ist deutlich näher als jenes in der Galaxie Messier 87. Warum war das EHT trotzdem bei M 87 erfolgreich?

Unsere Milchstraße ziert sich eben, die letzten Geheimnisse preis zu geben (lacht). Aber Spaß beiseite, es gibt natürlich handfeste Gründe: Zum einen ist das Herz unserer Milchstraße in einem dichten Nebel aus geladenen Teilchen verborgen. Das führt zu einem Flimmern der Radiostrahlung und damit zu unscharfen Bildern des Milchstraßenzentrums. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Problem auch noch lösen können. Andererseits ist die Galaxie M 87 zwar ungefähr 2000-mal weiter weg, aber das schwarze Loch in ihrem Zentrum auch 1000-mal massereicher als jenes in unserer Milchstraße. Die größere Masse macht die größere Entfernung wett, und der Schatten des schwarzen Lochs in M 87 erscheint uns daher noch etwa halb so groß wie derjenige aus der Schwerkraftfalle in unserer Milchstraße.

Was hat es mit dem Schatten eines schwarzen Lochs auf sich?

Ein schwarzes Loch lenkt das Licht noch weit mehr ab als unsere Sonne, und die Relativitätstheorie sagt voraus, dass man einen Strahlungsring um einen dunklen Flecken, dort wo sich das schwarze Loch befindet, beobachten sollte. Manche nennen diesen dunklen Flecken – etwas salopp – den Schatten des Schwarzen Loches.

Aber woher kommt das Licht, schwarze Löcher sind doch schwarz?

Nach der allgemeinen Relativitätstheorie besitzen schwarze Löcher einen sogenannten Ereignishorizont. Er beschreibt jene Region, innerhalb derer nichts mehr dem schwarzen Loch entkommen kann. Deshalb sollten uns der Ereignishorizont, aber auch der Bereich innerhalb, schwarz erscheinen. Der Theorie nach befindet sich, angezogen von der gewaltigen Masse, außerhalb des Ereignishorizonts eine gewaltige Menge an Gas, das in einer strudelartigen Scheibenstruktur mit ungeheuer hohen Geschwindigkeiten herumwirbelt. Dabei heizt sich das Gas auf und beginnt zu leuchten. Zudem setzen relativistische Teilchen – also solche, die sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit in einem Magnetfeld bewegen – Synchrotronstrahlung frei. Um ein schwarzes Loch herum „leuchtet“ es also, während das Loch selbst, wie der Name sagt, schwarz erscheint. Diese Schwärze haben wir beobachtet.

Was haben Sie aus dem Schatten herausgelesen?

Wir waren, ehrlich gesagt, verblüfft wie gut der beobachtete dunkle Fleck mit der aus unseren Computersimulationen vorhergesagten Struktur übereinstimmt. Aus dem Schatten selbst lassen sich etwa die Masse, die Rotation und das Magnetfeld des schwarzen Lochs ableiten. Dazu wurden am Computer 60.000 verschiedene Simulationen von schwarzen Löchern vorgenommen und mit den EHT-Ergebnissen verglichen.

Wie wird diese erfolgreiche Beobachtung die Astronomie weiterbringen?

Wir stehen am Anfang einer Phase, in der viele neue Erkenntnisse auf uns warten. So werden wir alternative Erklärungen für schwarze Löcher – etwa Bosonen- oder Gravasterne – bald sicher ausschließen können. Wir werden die galaktischen Zentren besser verstehen und ein vollständiges Bild von Entstehung und Entwicklung aktiver Galaxien gewinnen. Und wir werden Pulsare in der Umgebung des schwarzen Lochs in unserer Milchstraße beobachten und damit die allgemeine Relativitätstheorie auf Herz und Nieren testen können. Denn schwarze Löcher sind ein ideales Labor für Messungen unter starker Schwerkraft.

Quelle: Max-Institut für Radioastronomie

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