„Bösewicht“ wird Bauherr: Eine der prachtvollsten Straßen des alten Jerusalem wurde wahrscheinlich unter Pontius Pilatus erbaut – dem aus der Bibel berüchtigten römischen Statthalter. Aktuelle Münzfunde belegen, dass die Pilgerstraße vom Tempelberg zum Teich von Siloah während seiner Amtszeit konstruiert wurde. Ausgerechnet der übel beleumdete Präfekt könnte damit einen für die Juden und ihre Religion besonders wichtigen Bau erschaffen haben.
Die Stadt Jerusalem hat eine bewegte Geschichte und mehrfache Eroberungen hinter sich – von den Babyloniern über die Römer bis zu den Kreuzfahrern und Arabern. Zu den berühmtesten Zeugnissen ihrer Vergangenheit gehören jedoch der Tempelberg und die Ruinen der „Stadt Davids„, der Stadt, über die der biblische König David vor rund 3.000 Jahren geherrscht haben soll.
Eine Prachtstraße durch die Davidstadt
Quer durch die Davidstadt führte in der Antike eine gewaltige Prachtstraße – ein knapp acht Meter breiter, aufwändig gepflasterter Treppenweg, der von erhöhten und durch Steinmetzarbeiten verzierten Bordsteinen gesäumt war. Dieser Weg führte von der Südmauer des Tempels hinunter bis zum Teich von Siloah – einem weiteren wichtigen Heiligtum der Juden. Die Treppenstraße verband beide Orte und wurde vermutlich vor allem von Pilgern und Prozessionen genutzt.
„Ihre Dimensionen und die Qualität der Konstruktion machen die große Bedeutung dieser Straße offensichtlich“, erklären Nahshon Szanton und seine Kollegen von der Israelischen Antikenbehörde. Die Archäologen schätzen, dass allein für diese 600 Meter lange Straße mehr als 10.00 Tonnen an Kalksteinblöcken gehauen und herbeigeschafft werden mussten. „Dies erforderte eine große Zahl von Arbeitern, darunter Fachkräften und Handwerkern“, so die Forscher.
Wer war der Bauherr?
Doch wann und von wem wurde diese Pilgerstraße gebaut? Bisherige Datierungen konnten dies nur grob auf die Zeit von der Herrschaft des Herodes – 37 bis 4 vor Christus – bis zum Beginn des ersten jüdisch-römischen Krieges im Jahr 66 unserer Zeit einengen. „Eine präzisere Datierung hätte daher weitreichende Bedeutung für unser Verständnis der Stadtentwicklung in dieser Periode“, erklären die Archäologen.
Jetzt ist es Szanton und seinem Team gelungen, die Bauzeit der Prachtstraße genauer zu bestimmen und damit auch den Auftraggeber und Bauherrn zu identifizieren. Zuhilfe kamen ihnen dabei gut 100 antike Münzen, die sie bei neuen Ausgrabungen entlang von zwei Teilstücken der antiken Pilgerstraße fanden. Die Münzen lagen eingeschlossen im Mörtel des Straßenfundaments und müssen daher aus der Zeit des Straßenbaus stammen, wie die Forscher berichten.
Münzen als Datierungshelfer
Die nähere Untersuchung ergab: Die ältesten dieser Münzen stammten zwar aus der Herrschaftszeit des Königs Herodes, die jüngsten waren jedoch erst im Jahr 30 nach Christus geprägt worden – lange nach dem Tod des Königs. Doch antike Münzen späterer Prägung, die bei sonstigen Ausgrabungen im antiken Jerusalem häufig gefunden werden, fehlten völlig.
„Es ist daher sicher, dass die Straße nicht viel später als ein Jahrzehnt nach dem Jahr 30 vollendet worden ist“, sagen die Forscher. Aus den Münzfunden schließen sie, dass der Bau der Pilgerstraße etwa im Jahr 25 bis 30 begonnen hat und dann noch vor dem Jahr 40 abgeschlossen wurde.
Pontius Pilatus als Auftraggeber
Das aber bedeutet, dass nur eine Person als Auftraggeber der Straße in Frage kommt: Pontius Pilatus, der Mann, der Jesus von Nazareth zum Tod am Kreuz verurteilte. Pilatus war vom Jahr 26 bis zum Jahr 36 römischer Präfekt der Provinz Judäa und damit auch der regierende Vertreter Roms in Jerusalem. „Der größte Teil, wenn nicht sogar der komplette Bau der Straße muss damit während seiner Amtszeit stattgefunden haben“, sagen Szanton und seine Kollegen.
Ihrer Ansicht nach würde dies auch durchaus zu Pilatus sonstigem Wirken passen. Denn schon zuvor war bekannt, dass er ein Aquädukt bauen ließ, das Jerusalem mit Wasser aus den Hebronbergen versorgte und auch ein Amphitheater in Cäsarea. „Pilatus ist aus mehreren historischen Quellen als Bauherr bekannt“, erklären die Archäologen. Jetzt zeigt sich, dass auch die Jerusalemer Treppenstraße auf sein Konto ging.
Zwischen Ruhm und Beschwichtigung
Das Interessante daran: Diese Zuordnung klärt nicht nur den Bauherrn dieser wichtigen Pilgerstraße. Sie bietet auch wertvolle Einblicke in das Verhältnis des römischen Statthalters Pilatus zu Jerusalem und Judäa, wie die Archäologen erklären. Denn in den meisten historischen Quellen kommt der Statthalter nicht unbedingt gut weg, dennoch gibt es einige Hinweise darauf, dass sich Pilatus durchaus bemühte, den Juden entgegenzukommen.
Zu diesem Bild könnte der Bau einer Pilgerstraße für die Juden und ihre Riten daher durchaus passen. Aber auch der Wunsch, sich in Bauwerken zu verewigen, könnte eine Triebkraft gewesen sein: „Eine Motivation könnte gewesen sein, die Einwohner der Stadt zu besänftigen, eine andere, seinen Ruf durch solche großen Bauprojekte zu fördern oder Jerusalem so römischer zu machen“, sagt Szanton. „Alle diese Gründe lassen sich durch historische Aufzeichnungen stützen, aber welcher überwog, wissen wir nicht.“ (Tel Aviv: The Journal of the Institute of Archaeology of Tel Aviv University, 2019; doi: 10.1080/03344355.2019.1650491)
Quelle: Taylor and Francis