Technik

Industrie könnte viel umweltgerechter sein als sie ist

Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik

Gegen den Klimawandel anzugehen, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung ebenso wie der Industrie. Die WGP mahnt jedoch, dass ein möglichst schneller Transfer der zahlreichen bereits existierenden Lösungen durch gesetzliche Vorgaben gewährleistet werden müsse. „Nur dann können wir das 2-Grad-Klimaziel erreichen“, betont Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP. „Darüber hinaus könnten die Innovationen zu einer großen Marktchance für unseren Mittelstand werden.“ Die WGP zeichnet mitverantwortlich für viele sektorenübergreifende Forschungsergebnisse und Ideen für eine umweltgerechtere Produktion, die die CO2-Emissionen der Industrie deutlich senken würden.

„Auf dem Deutschen Maschinenbau-Gipfel in Berlin hat Frau Merkel vergangene Woche die Bedeutung der neuen Technologien für den Kampf gegen den Klimawandel betont. Dem stimmen wir vollkommen zu und weisen darauf hin, dass wir in der Forschung bereits zahlreiche Lösungen entwickelt haben und an weiteren arbeiten“, betont Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP und Leiter des Instituts Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz-Universität Hannover. „Für die Umstellung auf erneuerbare Energien und eine umweltgerechtere Produktion braucht es jedoch auch gesetzliche Vorgaben für einen schnellen Transfer der neuen Technologien in die Unternehmen.“

Die WGP, der Zusammenschluss führender produktionstechnischer Professoren Deutschlands, forscht seit langem an energie- und ressourceneffizienten Technologien und Produktionsprozessen. Erst Anfang Oktober haben Professoren auf dem WGP-Jahreskongress ganz neue Wege für eine umweltgerechtere Industrie aufgezeigt. Doch auch ohne komplett neue Produktionsansätze wie die Abkehr vom konstruktionsgerechten hin zum regelgerechten Produktionsdesign, bei dem das Design allein von Algorithmen bestimmt wird. Auch mit der Idee, zu einfacheren „Elementarmaschinen“ zurückzukehren, die künftig wie eine Hardware-App eingesetzt werden könnten, weist die WGP schon heute neue Wege auf, wie die Industrie einen bedeutenden Beitrag zum Klimaziel leisten kann.

Die Industrie auf regenerative Energien umstellen

Bis spätestens 2050 sollen 80 Prozent des Strombedarfs in Deutschland aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden. Um dies zu realisieren, forschen zahlreiche WGP-Institute in unterschiedlichen Projekten. An dem bundesweiten Kopernikus-Projekt SynErgie mit rund 100 Partnern sind insgesamt sechs WGP-Institute beteiligt. Gestartet im Jahr 2016 zielt es darauf ab, innerhalb von zehn Jahren insbesondere die energieintensive Industrie in Einklang mit rechtlichen und sozialen Aspekten auf erneuerbare Energien einzustellen und gleichzeitig deutlich Energie zu sparen. „Wenn wir den Energiebedarf der Industrie mit dem bekanntermaßen schwankenden Angebot erneuerbarer Energien synchronisieren, sind drastische Einsparungen sowie Steigerungen der Effizienz möglich – und das bei sinkendem CO2-Ausstoß“, betont Prof. Eberhard Abele, der das Projekt initiierte und in den ersten drei Jahren leitete. Abele ist im WGP-Präsidialausschuss und leitet das Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt.

In der ETA-Fabrik, einer Modellfabrik für Energieeffizienz an der TU Darmstadt, werden zudem Produktion, Versorgungstechnik und Gebäudestruktur ganzheitlich betrachtet, wodurch Energieeinsparungen von mehr als 40 Prozent erreicht werden konnten. Ein bayerisches Projekt ist Green Factory Bavaria, ein Forschungsverbund, der zum Ziel hatte, den Ressourcenverbrauch von Unternehmen zu optimieren. Nicht zuletzt arbeiten WGP-Forscher an der Optimierung der Stromnetze, seien es Gleichstrom-Anwendungen (DC-Industrie) oder optimierte Mittelspannungsnetze (HYBKomp). WindNODE macht das elektrische Energiesystem des gesamten Nordosten Deutschlands zu einer Art Reallabor. Lösungen für ein intelligentes Energiesystem werden in Demonstratoren erforscht, angewendet, getestet und bekanntgemacht.

„Aus der Industrie kommen laut Global Climate Action Summit 34 Prozent der CO2-Emissionen. Mit den hier beispielhaft aufgeführten Projekten zeigt unter anderen die WGP maßgebliche Schritte zur Umstellung auf erneuerbare Energien sowie eine zeitnahe Energiewende auf. Die Wissenschaft hat bereits ein Fundament geschaffen, nicht nur, um das 2-Grad-Klimaziel einzuhalten. Deutschland kann zudem zu einem internationalen Leitanbieter für flexible Industrieprozesse und Produktionstechnologien werden, die sich aus erneuerbaren Energien speisen können. Die Politik muss die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass die Erkenntnisse so schnell wie möglich in die Wirtschaft integriert werden“, mahnt Denkena.

Verkehrs- und Bausektor ebenfalls im Visier

Der Verkehrssektor hat bislang noch wenig CO2-Emissionen eingespart. Doch gerade in diesem Bereich laufen intensive Forschungen auch innerhalb der WGP. Bekannt ist vor allem das Elektromobil e.GO Life, das bereits Marktreife erreicht hat. Auch umfassende Mobilitätskonzepte für die Stadt von morgen werden erarbeitet. Im Projekt Antriebsstrang 2025 zum Beispiel erforschen Wissenschaftler Ansätze, um Fahrzeug-Antriebssträngen sowohl in der Herstellungs- als auch der Nutzungsphase durch neue Technologien effizienter zu gestalten. „Hierdurch können wir den Energiebedarf in der Herstellung sowohl konventioneller als auch E-Motoren um 20 Prozent und den CO2-Ausstoß während der Nutzung um 7 Prozent reduzieren“, bringt es Denkena auf den Punkt. An innovativen Antriebskonzepten und zugehörigen Produktionstechnologien arbeiten auch bayerische WGP-Forscher im Projekt E/Drive-Center.

Nicht zuletzt der Bausektor und das Gebäudemanagement bieten enormes Potenzial für CO2-Einsparungen. In diesem Bereich forschen WGP-Institute mit Unterstützung des Freistaats Bayern am Projekt E/Home. Hier werden nachhaltige Technologien und Methoden für das ressourcenschonende und intelligente Wohnen unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Anforderungen entwickelt. Das heißt: Die Forscher haben den konkreten gesellschaftlichen Bedarf vor Augen, also nicht das Hightech-Einfamilienhaus, dass sich kaum ein Bürger leisten kann. Potenzielle Nutzer*innen werden so früh wie möglich in die Entwicklungen einbezogen und können das Smart Home in ihrem Alltag testen.

Lebenszyklen erhöhen

Die Lebenszyklen von Investitionsgütern wollen beispielsweise die Forscher im Projekt ReLIFE verlängern, indem sie eine „adaptive Instandhaltungsstrategie“ entwickeln. Mithilfe von Sensorik-Auswertungen werden zeitlich und inhaltlich auf die jeweilige Situation angepasste präventive Remanufacturing-Maßnahmen vorgeschlagen, die die Leistungsfähigkeit der Investitionsgüter erhöht. Dem Remanufacturing von Elektromotoren widmet sich hingegen das vor kurzem gestartete Projekt AgipRobot. Mithilfe autonom arbeitender, mobiler Roboter werden Altteile aus dem Markt zurückgewonnen. Die entwickelten Lösungen werden in einer Demonstrator-Fabrik bis 2023 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu sehen sein.

Thinktank wird Entwicklungen kritisch begleiten

Aus neuen Technologien kann die Industrie erfolgreiche Geschäftsmodelle ableiten, wie etwa das Remanufacturing, bei dem sich Maschinenhersteller zu Service-Anbietern weiterentwickeln. Das funktioniert aber nur dann nachhaltig, wenn entsprechende Ressourcen auf Dauer und in ausreichender Menge vorhanden sind – und wenn sie bezahlbar und umweltschonend bereitgestellt werden können. Der neue Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien in Baden-Württemberg, an dem seitens der Wissenschaft die WGP beteiligt ist, soll neue Technologien durch ressourcenökonomische Betrachtungen strategisch einordnen, um frühzeitig tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. So soll der Thinktank rechtzeitig darauf hinweisen, wenn eine neue Technologie etwa durch die Gesellschaft nicht akzeptiert oder die Gefahr besteht, dass ihr Einsatz verboten wird. Einzigartig an dem Thinktank ist, dass er von Industrie, Politik und Forschung gemeinsam getragen wird.

Neue, umweltschonende und akzeptierte Technologien gilt es, intensiv voranzutreiben. „Die Zeit wird knapp. Und wir müssen alle mitnehmen – nicht nur in Deutschland“, fordert Denkena. „Zwar machen die hiesigen Emissionen nur 2 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Doch wenn wir als gutes Beispiel vorangehen und unsere Technologien in die Welt exportieren, können wir nicht nur unseren Standort sichern, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz leisten.“

Quelle: Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik

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