Zu massereich für gängige Theorien: Einige durch Gravitationswellen entdeckte Schwarze Löcher sind zu schwer, um aus normalen Sternen entstanden zu sein. Jetzt haben Forscher dafür eine ungewöhnliche Erklärung gefunden: In aktiven Galaxienkernen könnten „gefangene“ Schwarze Löcher gleich in Serie miteinander verschmelzen – und so zu ungewöhnlicher Masse heranwachsen, wie die Astronomen berichten.
Seit dem ersten Nachweis von Gravitationswellen haben die Detektoren LIGO und Virgo mehr als zehn Verschmelzungen Schwarzer Löcher aufgezeichnet – und sogar eine Kollision zweier Neutronensterne. Bisher ist allerdings unklar, wie genau diese kollidierenden Objekte zustande kamen: Ist ihr Ursprung ein enges Doppelsternsystem? Oder kamen die beiden Schwarzen Löcher erst nachträglich in Kontakt?
Zu massereich für Sternenkollaps
Noch rätselhafter aber ist die ungewöhnlich große Masse einiger der an den Kollisionen beteiligten Schwarzen Löcher. So umfasst das Ereignis GW170729 mindestens ein Schwarzes Loch mit 50,6 Sonnenmassen – das ist eigentlich zu schwer für ein aus einem Stern entstandenes Schwarzes Loch, wie Imre Bartos von der University of Florida in Gainesville und seine Kollegen erklären. Denn ein Stern müsste schon vor Erreichen dieser Ausgangsmasse kollabieren.
Wie aber kann ein solcher Massegigant dann zustandekommen? Eine mögliche Erklärung für diese „unmögliche“ Masse haben nun Bartos und sein Team in einer Simulation überprüft. Demnach könnten diese Schwarzen Löcher schon vor der beobachteten Kollision aus früheren Verschmelzungen hervorgegangen sein. Möglich würden solche Kollisionen in Serie unter anderem im Orbit um einen aktiven Galaxienkern, wie die Forscher erklären.
Im Orbit gefangen
Konkret sähe das Szenario so aus: Im Umfeld eines aktiven supermassereichen Schwarzen Lochs im Galaxienkern sammelt sich nicht nur eine gewaltige Scheibe aus heißem Gas und zerfallender Materie, auch ganze Sterne und stellare Schwarze Löcher kreisen im nahen Umfeld des Schwerkraftgiganten. Gefangen von dessen Anziehungskraft, bewegen sich diese kleineren Schwarzen Löcher auf einer relativ engen Bahn und können nicht mehr entweichen.
„Das ist wie bei einem Hurrikan, um dessen Auge alles kreist“, erklärt Bartos. „Nur dass das Auge in diesem Fall ein Ring um das zentrale supermassereiche Schwarze Loch ist.“ Das Entscheidende jedoch: In diesem Ring steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich gefangene Schwarze Löcher begegnen und als Folge kommt es vermehrt zu Verschmelzungen. Weil die durch diese Kollisionen entstandenen Schwarzen Löcher weiterhin gefangen bleiben, können dann auch sie kollidieren – und das Ergebnis wäre ein extrem massereiches Ereignis wie GW170729.
Kollisionen in Serie
Nach Ansicht der Astronomen könnte dieses Szenario erklären, wie die ungewöhnlich schweren Schwarzen Löcher in einigen der Gravitationswellen-Ereignisse zustandekamen. „Solche hierarchischen Verschmelzungen sind in den Migrationsfallen der aktiven Galaxienkerne eher die Regel als die Ausnahme“, berichten die Forscher. „Sie resultieren in einer Kette von aufeinanderfolgenden Verschmelzungen. In rund 40 Prozent der beobachteten Fälle wäre dann eines der Schwarzen Löcher schwerer als 50 Sonnenmassen.“
Dazu passt auch, dass das extrem schwere Schwarze Loch bei GW170729 ungewöhnlich schnell rotiert – auch das war in der Simulation eine typische Folge der seriellen Verschmelzung von Schwarzen Löchern in einem aktiven Galaxienkern, wie Bartos und sein Team erklären. Insgesamt kommen sie zu dem Schluss, dass Schwarze Löcher wie bei GW170729 fünfmal wahrscheinlicher in ihrem Galaxienkern-Szenario entstehen als auf andere Weise.
„Dieses Szenario bietet einen natürlichen Weg, um die große Masse und den starken Spin bei solchen verschmelzenden Schwarzen Löchern zu erklären“, sagt Koautor Richard O’Shaughnessy vom Rochester Institute of Technology. Ob diese Erklärung zutrifft, müssen nun weitere Beobachtungen solcher Gravitationswellen-Ereignisse zeigen. Die Forscher aber halten ihr Szenario für die bislang wahrscheinlichste Erklärung. (Physical Review Letters, 2019; doi: 10.1103/PhysRevLett.123.181101)
Quelle: American Physical Society (APS), Rochester Institute of Technology