Uralter Strom: Der Nil könnte deutlich älter sein als bisher angenommen, wie Geologen berichten. Demnach könnte der Fluss schon vor 30 Millionen Jahren seinem heutigen Lauf gefolgt sein – rund 24 Millionen Jahre früher als es eine gängige Theorie besagt. Indizien dafür sind unter anderem Ablagerungen von Mineralien aus dem äthiopischen Hochland im Sediment des Nildeltas, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichten.
Der Nil ist schon seit Jahrtausenden die Lebensader Ägyptens – und einer der längsten Flüsse der Erde. Sein Wasser erhält der „große Strom“ aus zwei Quellflüssen, dem in Burundi entspringenden Weißen Nil und dem aus dem äthiopischen Hochland kommenden Blauen Nil. Schon vor rund sechs Millionen Jahren vereinten sich diese beiden Flüsse zum Nil, der dann im Mittelmeer mündete – das belegen verlandete Reste einer alten Mündungsschlucht bei Assuan.
Alt oder jung?
Doch seit wann folgt der Nil diesem Lauf? Bisher gab es eindeutige Belege für eine Mündung des Nils ins Mittelmeer nur aus der Zeit seit sechs Millionen Jahren. Deswegen gehen viele Wissenschaftler davon aus, dass der Nil erst durch die damalige Austrocknung des Mittelmeers genügend Gefälle bekam, um seinem heutigen Bett zu folgen. Vorher, so die Theorie, floss ein Großteil des Nilwassers nach Westen und mündete in das Einzugsgebiet des Kongo.
Es gibt aber auch Forscher, die eine Entstehung des Nils schon Millionen Jahre früher für möglich halten. Neue Indizien für einen solchen „alten“ Nil haben nun Claudio Faccenna von der Universität Roma Tre in Rom und seine Kollegen zutage gefördert. Für ihre Studie hatten sie zunächst Sedimentbohrkerne aus dem Mündungsbereich des Nils untersucht und mithilfe von chemischen Vergleichsanalysen den Ursprung der Ablagerungen bestimmt.
Sedimenttransport schon vor 30 Millionen Jahren
Das Ergebnis: Schon in den rund 30 Millionen Jahre alten Sedimentschichten der Nilmündung finden sich vulkanische Mineralien aus dem äthiopischen Hochland. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass schon damals Wasser von der Quelle des Blauen Nils bis ins Mittelmeer geflossen sein muss. „Die Sedimentanalysen aus dem Nildelta dokumentieren die Verbindung vom äthiopischen Hochland bis zum Nildelta schon im Oligozän“, konstatieren Faccenna und sein Team.
Doch um diese Verbindung zu ermöglichen, muss der Nil schon damals genügend Gefälle in Richtung Norden besessen haben – sonst wäre dieses Wasser stattdessen westlich in das Kongobecken abgeflossen. Ob das der Fall war, überprüften die Forscher mithilfe einer geophysikalischen Modellsimulation. In dieser rekonstruierten sie die tektonischen Veränderungen im Nordwesten Afrikas und berücksichtigten dabei auch Daten zum vulkanischen Ursprung des äthiopischen Hochlands.
Quelle hebt sich, Mündung sinkt
Die Simulation ergab: Schon vor rund 40 Millionen Jahren begann ein vulkanischer Hotspot, das äthiopische Hochplateau allmählich anzuheben. Dadurch lag das Quellgebiet des Blauen Nils schon vor 30 Millionen Jahren rund 1.250 Meter hoch, wie die Forscher berichten. Nach einer zwischenzeitlichen, noch stärkeren Hebung bis auf 2.600 Meter sank das Plateau dann langsam bis auf die heutige Höhe von im Schnitt 1.800 Metern ab. „Mehrere Modelle sprechen dafür, dass diese Topografie des Plateaus mit dem Aufsteigen des Afar-Plumes verknüpft ist“, so Faccenna und seine Kollegen.
Doch das war noch nicht alles: Parallel zur Anhebung der Quellregion des Blauen Nils sanken das östliche Mittelmeer und der Norden Ägyptens langsam ab. „Unser Modell zeigt ein kontinuierliches Absinken seit rund 35 Millionen Jahren, das sich seit rund fünf Millionen Jahren beschleunigt hat“, so die Forscher. Ursache dieses Absinkens ist eine lokale Strömung im Erdmantel, die Material nach unten in die Tiefe zieht.
Stabiler Lauf dank „tektonischem Fließband“
Das aber bedeutet: Schon seit mindestens 30 Millionen Jahren gibt es eine Art tektonisches „Fließband“, das die Quellregion des Blauen Nils aufsteigen lässt und die Nilmündung absenkt. Beides zusammen ermöglichte es dem Nil schon damals, seinem heutigen Lauf zu folgen. „Trotz vieler kleinräumiger Veränderungen in den letzten 30 Millionen Jahren hat der Fluss seit dieser Zeit ohne Unterbrechung existiert und das äthiopische Hochland mit dem Mittelmeer verbunden“, sagen Faccenna und sein Team.
Damit ist der Nil höchstwahrscheinlich deutlich älter als bisher angenommen. Er folgt demnach nicht erst seit der Austrocknung des Mittelmeeres seinem heutigen Lauf, sondern schon seit rund 30 Millionen Jahren. (Nature Geoscience, 2019; doi: 10.1038/s41561-019-0472-x)
Quelle: Nature, University of Texas at Austin