„Unmögliche“ Galaxien: Astronomen haben gleich 19 Zwerggalaxien entdeckt, die kaum Dunkle Materie enthalten. Doch nach gängiger Theorie dürfte es solche Galaxien gar nicht geben, weil die Dunkle Materie als entscheidender „Kitt“ in der Galaxienbildung gilt. Warum diese Zwerggalaxien dennoch weit mehr normale Materie aufweisen als Dunkle, ist bislang rätselhaft. Ihre Entdeckung bestätigt aber, dass es solche Galaxien tatsächlich gibt, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Astronomy“ berichten.
Gängiger Theorie nach werden alle Galaxien von einem unsichtbaren „Kitt“ zusammengehalten – der Dunklen Materie. Ihre Schwerkraft prägt die Rotation der Galaxien, bestimmt ihre Struktur und ihre Masse. Die Dunkle Materie dominiert den Modellen zufolge vor allem im Halo, dem Außenbereich der Galaxien, aber auch insgesamt gibt es in den Sternenansammlungen weit mehr Dunkle Materie als normale – so jedenfalls der Normalfall.
Streit um Dunkle Materie in Galaxien
Doch im März 2018 vermeldeten Astronomen eine echte Sensation: Sie hatten erstmals eine Galaxie aufgespürt, die fast keine Dunkle Materie enthielt. Aus dem Rotationsverhalten von NGC1052-DF2 errechneten die Forscher, dass die Dunkle Materie höchstens ein Vierhundertstel der gesamten Galaxienmasse ausmachen konnte – viel zu wenig, um es mit gängigen Modellen erklären zu können.
Allerdings blieb diese Entdeckung nicht unumstritten: Bei Nachuntersuchungen der Galaxie kamen Zweifel auf, ob die Astronomen die Entfernung zu NGC1052-DF2 möglicherweise falsch berechnet hatten – das würde auch die Massenwerte verfälschen. Ähnlich strittig ist die Einordnung von zwei Zwerggalaxien mit einem Mangel an Dunkler Materie. Weil sie inmitten dichter Galaxienansammlungen liegen, könnte ihnen diese unsichtbare Materieform nachträglich entrissen worden sein. Ob es daher tatsächlich Galaxien gibt, die ohne Dunkle Materie herangewachsen sind, blieb bislang offen.
19 Zwerggalaxien mit fehlendem „Kitt“
Jetzt heizt die Entdeckung weiterer „undunkler“ Galaxien die Diskussion weiter an. Für ihre Studie hatten Astronomen um Qi Guo von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gezielt in Daten von optischen und Radio-Teleskopen nach Galaxien gesucht, die Auffälligkeiten in ihrem Rotationsverhalten aufwiesen. Die Rotation bestimmten die Forscher über subtile Merkmale der Wasserstofflinien im Lichtspektrum. Durch Abgleich mit optischen Daten konnten sie daraus den Anteil der Dunklen Materie ermitteln.
Das überraschende Ergebnis: Bei 19 der 324 untersuchten Zwerggalaxien gibt es einen eklatanten Mangel an Dunkler Materie. Dort, wo deren Einfluss eigentlich dominieren müsste, fanden die Forscher stattdessen ungewöhnlich große Anteile an normaler Materie. Nach Ansicht der Astronomen spricht dies dafür, dass diese 19 Galaxien tatsächlich weniger Dunkle Materie aufweisen als es die Modelle fordern.
Weniger Dunkle Materie von Anfang an?
Entscheidend auch: „Nur fünf dieser Zwerggalaxien liegen in oder nahe von Galaxiengruppen oder -haufen“, berichten die Forscher. Die restlichen 14 stehen dagegen frei und isoliert im Raum. „Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass ihre Dunkle Materie durch die Interaktion mit anderen Galaxien verloren gegangen ist“, so Guo und sein Team. Stattdessen scheinen diese Zwerggalaxien tatsächlich von Beginn zu wenig Dunkle Materie besessen zu haben.
Sollte sich dies bestätigen, wäre dies ein Schlag für das gängige Modell der Galaxienbildung und Dunkler Materie. Denn dieses kann bisher nicht erklären, wie Galaxien ohne diesen unsichtbaren „Kitt“ zustande kommen.
Doch Guo und sein Team sehen ihre Ergebnisse als Indizien dafür, dass es einen alternativen Weg geben muss. „Das spricht dafür, dass einige Zwerggalaxien auf eine Weise entstehen können, die weniger Dunkle Materie erfordert als es Simulationen oder die Lokale Gruppe nahelegen“, so die Forscher. Dann müsste entweder das gängige Modell der Kalten Dunklen Materie nachgebessert werden – oder aber eine Alternative gefunden. (Nature Astronomy, 2019; doi: 10.1038/s41550-019-0930-9)
Quelle: Nature Astronomy