Verblüffender Effekt: Wirkstofffreie Placebos lindern chronische Rückenschmerzen – selbst wenn die Patienten wissen, dass sie nur ein Placebo bekommen. Das bestätigt nun eine Studie in Essen. Nach dreiwöchiger Einnahme von Placebo-Pillen erfuhren die Patienten eine deutliche Schmerzlinderung, benötigten seltener zusätzliche Schmerzmittel und fühlten sich weniger depressiv. Es lohne sich daher, den Placeboeffekt in Therapien einzubinden, sagen die Forscher.
Ob Zuckerpille, Kochsalzlösungs-Spritze oder Pseudo-Operation: Placebos enthalten keine Wirkstoffe und dürften objektiv nichts bewirken, tun es aber trotzdem. Studien zeigen immer wieder, dass Placebobehandlungen nicht nur psychologische Effekte verursachen, sondern auch physiologisch messbare Veränderungen im Körper auslösen. Interessanterweise funktioniert eine solche Scheinbehandlung häufig sogar dann, wenn die Patienten wissen, dass sie ein Placebo bekommen.
Placebo statt echtem Medikament
Auch beim Volksleiden Nummer 1, den chronischen Rückenschmerzen, scheint der Placeboeffekt gut zu wirken, wie nun eine Studie an 127 Rückenschmerzpatienten bestätigt. Mediziner um Julian Kleine-Borgmann vom Universitätsklinikum Essen hatten dafür zunächst allen Patienten einen Informationsfilm über den Placeboeffekt und mögliche positive Effekte einer offenen Placebogabe gezeigt. Dann wurde eine Hälfte der Patienten weiterbehandelt wie zuvor, die andere erhielt zusätzlich zweimal täglich eine Placebopille.
Alle Patienten der Placebogruppe wussten, dass sie ein wirkstoffloses Mittel bekamen. Im Laufe der dreiwöchigen Studiendauer untersuchten die Forscher sowohl objektive Parameter wie die Beweglichkeit der Wirbelsäule und die Einnahme zusätzlicher Schmerzmittel, als auch subjektive Werte. Patienten wurden dazu regelmäßig zu ihrer Schmerzintensität, der Beeinträchtigung im Alltag durch die Rückenschmerzen und auch zu psychischen Beschwerden wie Depressionen, Ängsten und Stress befragt.
Deutliche Schmerzlinderung
Das Ergebnis: Obwohl die Patienten wussten, dass sie nur ein Placebo bekamen, wirkte die Behandlung. Die Teilnehmer der Placebogruppe stuften ihre Schmerzen nach den drei Wochen als signifikant geringer ein als ihre Kollegen aus der Kontrollgruppe. Im Schnitt lag der Unterschied bei rund 60 Prozent. Sie empfanden die Wirkung des Placebomittels dabei als ähnlich stark wie die eines klassischen Schmerzmittels, wie die Forscher berichten.
Dieser positive Effekt zeigte sich auch darin, dass die Placebo-Patienten weniger häufig zusätzliche Schmerzmittel benötigten. In den standardisierten Befragungen gaben die Probanden zudem an, sich durch die Gabe der Placebos fitter und weniger körperlich eingeschränkt zu fühlen. Auch litten sie weniger unter Depressionen. Die objektiv erhobenen Parameter waren hingegen zwischen den Gruppen nicht unterschiedlich, so Kleine-Borgmann und sein Team.
Unbewusste positive Erwartungen
Das Interessante daran: Der Placeboeffekt zeigte sich, obwohl den Patienten klar war, dass es sich nur um eine Scheinbehandlung handelte. Gleichzeitig konnten die Forscher auch nach dem Zeigen des Videos keine signifikant erhöhte positive Erwartung bei den Patienten feststellen. Wie also hatte das Placebo dann gewirkt? Wie die Wissenschaftler betonen, sind die Mechanismen hinter dem Placeboeffekt bis heute nicht aufgeklärt.
Eine Möglichkeit wäre, dass die Informationen über die Placebowirkung zu einer unbewussten positiven Erwartung geführt hatten. Eine weitere Hypothese wäre eine veränderte Reaktion auf natürliche Fluktuationen der Schmerzintensität: Die Patienten interpretieren schmerzärmere Phasen als Effekt des Placebos und dies löst positive Erwartungen im Sinne einer „Selffulfilling Prophecy“ aus.
„Placebos stärker in Therapiekonzepte einbinden“
Nach Ansicht des Medizinerteams unterstreichen die Ergebnisse, dass Placebos reale medizinische Wirkungen entfalten können. „Unsere Studie demonstriert, dass offene Placebobehandlung sicher und gut verträglich sind und Schmerzen, Beeinträchtigungen und depressive Symptome in Patienten mit chronischen Rückenschmerzen verringern können“, so Kleine-Borgmann und sein Team. Placebos könnten daher konventionelle Therapien durchaus ergänzen.
„Es lohnt sich, den Placeboeffekt stärker in bestehende Therapiekonzepte einzubinden“, kommentiert Hans-Christoph Diener von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Chronische Schmerzpatienten haben einen enormen Leidensdruck, der sie körperlich und seelisch zermürbt. Eine Therapie, die zu einer subjektiven Verbesserung führt, hat daher Berechtigung – auch wenn wir die dahinterliegenden Mechanismen noch nicht vollständig verstehen.“ (Pain, 2019; doi: 10.1097/j.pain.0000000000001683)
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie