Klima

Meereis auf historischem Tiefstand

Die Ausdehnung des arktischen Meereises war im Juli noch nie so gering

Meereis
Schmelzendes Meereis in der Arktis – auch rund um den Forschungseisbrecher Polarstern und seine Eisscholle. © Alfred-Wegener-Institut / Markus Rex

Neuer Negativrekord: Die Fläche des arktischen Meereises ist im Juli 2020 so gering wie nie zuvor um diese Zeit. Vor allem vor Sibirien hat sich das Eis weit zurückgezogen, die Nordostpassage ist schon seit zwei Wochen eisfrei. Ursache dieses anomal starken Eisschwunds ist eine anhaltende Warmluftzelle, die vor allem die östliche Arktis auf sechs Grad über den langjährigen Durchschnitt erwärmte.

Die Arktis ist ein Hotspot des Klimawandels – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn diese Region hat sich deutlich stärker erwärmt als es dem globalen Mittelwert entspricht. Sichtbar wird dies unter anderem am allmählichen Schwund des arktischen Meereises. Er trifft zunehmend auch ältere und dickere Eisflächen, gleichzeitig geht dem Packeis der Nachschub aus. Prognosen zufolge könnten die Schiffsrouten durchs Nordmeer und der Nordpol schon vor dem Jahr 2050 eisfrei werden.

Eisfläche
Aktuelle Meereisausdehnung in der Arktis © Alfred-Wegener-Institut / meereisportal.de,CC-by-sa 4.0

Weniger Eis als sonst um diese Zeit

Jetzt hat das Meereis erneut einen Negativrekord erreicht: Seit Beginn der Satellitenmessungen war die arktische Eisfläche im Monat Juli noch nie so gering wie in diesem Jahr. Arktisweit liegt die Meereisausdehnung zurzeit mit sechs Millionen Quadratkilometern um 16 Prozent unter dem Mittelwert der Jahre 2013 bis 2019, wie Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Universität Bremen berichten.

Besonders weit hat sich das Eis vor der sibirischen Küste zurückgezogen. Dort ist die Nordostpassage schon seit Mitte Juli eisfrei – so früh wie selten zuvor. „In diesem Sektor der Arktis haben wir jetzt mit rund 1,7 Quadratkilometern Meereisausdehnung schon eine Million Quadratkilometer weniger Eis als im Mittelwert der vorherigen sieben Jahre“, berichtet Gunnar Spreen von der Universität Bremen. Das östliche Nordpolarmeer hat 40 Prozent mehr offene Wasserflächen als normalerweise um diese Zeit.

Warmluftzelle brachte anomale Hitze

Dieser historische Tiefstand hat sich schon früh angekündigt, wie die Forscher erklären. So war es an der ostsibirischen Küste schon im Mai und Juni dieses Jahres mehr als sechs Grad wärmer als im langjährigen Mittel. Eine Warmluftzelle über dieser Region dominierte die Wetterlage in der Arktis und rief diese ungewöhnlich hohen Temperaturen hervor. In der Folge schmolz der Schnee bereits früh im Jahr und die Eisbedeckung im Osten der Arktis schrumpfte.

„So früh im Jahr so viel Wärme in das System zu bringen, beschleunigt und verfrüht das Schmelzen des Eises“, erklärt Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut. „Das wirkt sich besonders stark aus, da eine geringe Albedo in dieser Jahreszeit, wenn die Sonne während des Polartages durchgehend hoch am Himmel steht, eine besonders starke Rückkopplung hervorruft.“

Anomalien
Temperaturanomalien in der Arktis im Mai 2020. © Alfred-Wegener-Institut / meereisportal.de,CC-by-sa 4.0

Bisher keine Wende zum Besseren

Seit Anfang Juli haben sich die klimatischen Bedingungen nochmal verändert – wenngleich nicht zum Besseren: Jetzt liegt eine stabile Hochdruckzelle über der Ostsibirischen und der Tschuktschensee. Sie beschert der zentralen Arktis überdurchschnittlich warme Temperaturen von bis zum zehn Grad über dem Mittelwert, wie die Wissenschaftler berichten.

Ob dieser Trend zu anhaltend sonnigem und warmem Hochdruckwetter anhält, ist noch unklar. Sollte dies aber der Fall sein, könnte zum jährlichen Meereisminimum im September ein weiterer Negativrekord folgen.

Auch MOSAiC-Expedition ist betroffen

Betroffen von diesem Wärmeschub in der Arktis ist auch die MOSAiC-Expedition, die seit Herbst 2019 mit einer Eisscholle durch die zentrale Arktis driftet. Inzwischen liegt der Eisbrecher Polarstern mit seinen umgebenden Messstationen in der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Und auch dort messen die Forscher Rekordtemperaturen: „Heute haben wir bereits in 300 Meter Höhe über der Scholle Temperaturen von sage und schreibe 14 Grad Celsius gemessen, und das Schmelzen ist im vollen Gange“, berichtet Expeditionsleiter Markus Rex vom AWI.

Rund um die Polarstern und ihre Eisscholle sei das Eis schon lange zerfallen oder in kleine Bruchstücke zermahlen worden. „Unsere zu Anfang der Expedition im Oktober 2019 ausgewählte MOSAiC-Scholle ist jedoch immer noch eine beeindruckend stabile Basis für unsere Arbeiten“, sagt Rex. „Aber auch diese Scholle wird ihren Lebenszyklus jetzt bald am Eisrand beenden.“

Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

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