Gefiederte Revolution: Die direkten Vorfahren unserer Vögel sind nicht die einzigen Dinosaurier, die sich in die Luft erhoben. Denn auch zwei Raubsaurier aus anderen Stammeslinien waren schon zu aktivem Flug fähig, wie nun eine Studie belegt. Viele weitere Dinosaurier besaßen ebenfalls erste Anpassungen ans Fliegen. Das lege nahe, dass die Evolution zu dieser Zeit mit vielen verschiedenen Flugtechniken experimentierte, sagen die Forscher.
Der Archaeopteryx galt lange als „der“ Urvogel und das entscheidende Bindeglied zwischen Dinosauriern und den aus ihnen hervorgegangenen echten Vögeln. Doch in den letzten Jahren haben Paläontologen unzählige weitere Fossilien von Urvögeln und gefiederten Raubdinosauriern entdeckt. Ihre Merkmale werfen die Frage auf, wer von diesen zweibeinig laufenden, flügelschlagenden Dinos schon fliegen konnte, und auch, wer zu den Vorfahren der Vögel gehörte.
Wer konnte schon aktiv fliegen?
Mehr Klarheit bringt nun ein aktualisierter Stammbaum der gefiederten Dinos und Urvögel und eine biomechanische Analyse ihrer Flugfähigkeit. Dafür haben Forscher um Michael Pittman von der Universität Hongkong anhand einer Fossildatenbank bei 43 Arten Körpermerkmale wie Flügelgröße, Körpergröße oder Lauftempo ausgewertet. Aus den Daten ermittelten sie, ob diese Dinos schon genügend Auftrieb für das aktive Fliegen generieren konnten und ob ihre Flügel ihr Gewicht trugen.
Das Ergebnis: Unter den als Avialae zusammengefassten Vogelvorfahren und Urvögeln erfüllten nahezu alle die Voraussetzungen für das aktive Fliegen. Zu ihnen gehören auch die Vertreter des Archaeopteryx, der noch ältere Urvogel Anchiornis sowie mehrere weitere in China entdeckte Urvögel. Dies legt nahe, dass die Flugfähigkeit sich schon bei dem gemeinsamen Vorfahren dieser Stammeslinie entwickelt hat, so die Forscher.
Neben den Urvögeln flogen auch zwei Raubdinosaurier
Doch die Urvögel waren nicht die einzigen: Auch in mindestens zwei Gruppen gefiederter Dinosaurier gab es Arten, die schon aktiv fliegen konnten. Einer von ihnen war der Microraptor, ein zur Gruppe der Dromaeosauriden gehörender Raubsaurier. Er besaß nicht nur ausreichend große und tragfähige Flügel mit gut ausgeprägten Federn, sondern war auch klein genug, um sein Gewicht in die Luft heben zu können.
Ein zweiter Flieger unter den Raubdinosauriern war Rahonavis ostromi. Dieser auf Madagaskar entdeckte Raubdinosaurier gehörte einer anderen Linie der Dromaeosauriden an und hat seine Flugfähigkeit daher wahrscheinlich unabhängig von Microraptor erworben, so die Paläontologen. Auch dieser Dino besaß schon alle biomechanischen Voraussetzungen für den aktiven Flug und könnte sogar sehr große Flügel besessen haben, wie seine stark verlängerten Armknochen nahelegen. „Rahonavis ist unser stärkster Flugkandidat unter allen Deinonychosauriern“, so Pittman und sein Team.
Dreimal unabhängig entstanden – mindestens
Das bedeutet: Die Fähigkeit, aktiv zu fliegen, ist bei den Raubdinosauriern mindestens drei Mal unabhängig entstanden. „Entgegen einiger Annahmen hat das Fliegen seinen Ursprung damit nicht nur bei den Avialae und ist kein ausschließliches Merkmal der Vogelvorfahren“, konstatieren die Forscher. Stattdessen besaßen viele Vertreter der zu den Paraves zusammengefassten Dinosauriern schon erste Anpassungen, die ihnen das Flattern beim Springen und Laufen, das Gleiten und andere Vorstufen des aktiven Fliegens ermöglichten.
„Das spricht dafür, dass damals schon viele theropode Dinosaurier mit der Nutzung ihrer Flügel experimentierten“, sagt Pittman. „Die Fähigkeit zum aktiven Fliegen entwickelte sich demnach mehrfach aus einer breiten Basis von Paraves, die der Schwelle zur Flugfähigkeit schon sehr nahe waren.“ (Current Biology, 2020; doi: 10.1016/j.cub.2020.06.105)
Quelle: The University of Hong Kong, McGill University