Mehr als nur Psyche: Der Placebo-Effekt wirkt nicht nur subjektiv – er verändert auch unsere Biochemie, wie nun ein Experiment bestätigt. In ihm führte eine Scheinbehandlung gegen Übelkeit zu messbaren Veränderungen bei 74 im Blut nachweisbaren Proteinen. Je stärker diese Proteine verändert waren, desto wirksamer half das Placebo gegen die Übelkeit. Nach Ansicht der Forscher könnten weitere Proteom-Analysen wertvolle Einblicke in die Wirkungsweise dieses rätselhaften Effekts geben.
Es ist, als käme die Heilung aus dem Nichts: Der Placebo-Effekt kann selbst starke Schmerzen lindern, gegen Parkinson-Symptome helfen oder einen Rausch ganz ohne Drogen hervorrufen. Dies funktioniert auch dann, wenn die Patienten wissen, dass sie nur eine Scheinbehandlung erhalten. Studien belegen, dass dabei deutliche Veränderungen im Gehirn der Probanden nachweisbar sind. Welche physiologischen Veränderungen der Placebo-Effekt verursacht, ist aber bislang nur in Teilen untersucht.
Mit Pseudo-Reizstrom gegen Übelkeit
Jetzt haben dies Karin Meißner von der Universität München und ihr Team nachgeholt. Für ihr Experiment haben sie untersucht, wie sich die im Körper ausgeschütteten Proteine bei einer Placebo-Behandlung gegen Übelkeit verändern. „Es ist die erste Studie überhaupt, die die Methode der Proteomik, also der Erforschung aller im Körper vorkommenden Proteine, im Kontext der Placebo-Forschung eingesetzt hat“, sagt Meißner. „Proteomik bietet einen unvoreingenommenen Blick auf den Placeboeffekt.“
Dafür setzten die Forscher ihre Probanden einem visuellen Reiz aus sich bewegenden Streifen aus, der akute Übelkeit verursacht. Anschließend erfassten sie die Reaktion auf diesen sogenannten Vektionsreiz. Sie befragten die Probanden nach Symptomen, maßen die Magenaktivität und entnahmen Blutproben für die Proteomik-Analyse. Dies diente als Kontrollversuch.
Am nächsten Tag folgte der eigentliche Placebo-Test: Ein Teil der Probanden erhielt eine Reizstrombehandlung mit einem TENS-Gerät an einigen gegen Übelkeit wirkenden Akupunkturpunkten, eine zweite Gruppe erhielt nur eine Scheinbehandlung ohne tiefenwirksamen Strom. Erneut wurden Blutproben genommen und die Magenaktivität kontrolliert.
74 Proteine verändert
Es zeigte sich: Die Placebo-Behandlung hemmte die Übelkeit dem subjektiven Empfinden der Teilnehmer nach als auch in Bezug auf die Magenreaktion – wie erwartet. Überraschend war dagegen, wie deutlich sich dies bei den Proteinen im Blut widerspiegelte: Die Forscher detektierten auch bei den Probanden mit Placebo-Effekt messbare Veränderungen bei 74 Proteinen.
Konkret waren bei wirksamem Placebo-Effekt einige Proteine reduziert, die das Immunsystem normalerweise als Antwort auf akut übelkeitserregende Reize ausschüttet. „Offenbar unterdrückt die Placebo-Behandlung diese schnelle Immun-Antwort“, sagt Meißner. Deutlich verringert waren zudem einige entzündungsfördernde Proteine, die die Immunabwehr als Reaktion auf akuten Stress produziert.
Interessant auch: Einige der deutlich hochregulierten Moleküle waren Neuropeptide – Botenstoffe, die unter anderem für empathisches Verhalten und Bindung eine wichtige Rolle spielen. Dies bestätigt die Ergebnisse früherer Studien, nach denen Einfühlungsvermögen und Empathie die Placebowirkung verstärken. Auch die Gabe des „Kuschelhormons“ Oxytocin vor einer Scheinbehandlung verstärkt den Placebo-Effekt, wie Meißner und ihre Kollegen berichten.
Mehr als nur Psychologie
„Wir haben damit zum ersten Mal mittels Proteomik molekulare Signaturen entdeckt, die den Placebo-Effekt und seine Wirkung bei akuter Übelkeit reflektieren“, konstatieren die Wissenschaftler. Dies unterstreicht, dass der Placebo-Effekt mehr ist als nur Psychologie oder subjektives Empfinden. Gleichzeitig könnten die Erkenntnisse bei der Durchführung und Auswertung klinischer Studien helfen. Denn bei vielen Medikamententests macht der Placebo-Effekt bis zu 30 Prozent der Wirkung aus. Das erschwert es, die tatsächlichen Effekte des Wirkstoffs sauber einzuschätzen.
„Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass eine Blutplasma-Proteomik bahnbrechend sein könnte, um Biomarker zu identifizieren, die Placebo-Effekte bei klinischen Studien besser vorhersagen können“ , sagen Meißner und ihr Team. Spezielle Biomarker könnte helfen, bei solchen Studien das Ausmaß des Placebo-Effekts und auch besonders für ihn sensible Probanden zu identifizieren. (PLOS ONE, 2020; doi: 10.1371/journal.pone.0238533)
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München