Wie beeinflusst die Nutzung digitaler Medien die geistige und psychische Entwicklung von Kindern? Immerhin ist das heranwachsende Gehirn noch besonders plastisch und damit empfänglich für prägende Erfahrungen. Die dazu häufig zitierte „Verlagerungshypothese“ geht von einem Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Entwicklung aus. Sie postuliert, dass der Schaden durch die Technologie direkt proportional sei zum Ausmaß der Nutzung.
Gibt es eine optimale Nutzungsdauer?
Diese Hypothese konnte jedoch bislang nicht durch empirische Studien bestätigt werden. So ergab eine groß angelegte Überblicksstudie mit 120.000 Heranwachsenden, dass der Zusammenhang zwischen Bildschirm- beziehungsweise Digitalzeit und geistigem Wohlergehen am besten veranschaulicht wird durch eine Quadratfunktion. Demnach sind tendenziell positive Auswirkungen zu erwarten bei einer Mediennutzung von ein bis drei Stunden täglich.
Sitzen Kinder und Jugendliche länger vor den Geräten, wird dagegen ein „Wendepunkt“ erreicht, ab dem eine höhere Nutzung mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit verbunden ist – so die Annahme. Die tatsächlichen Auswirkungen hängen aber zum Beispiel auch von der Art der Aktivität und vom Wochentag ab. So haben Videospiele einen späteren Wendepunkt dieser quadratischen Funktion als Smartphones, und er tritt an Wochenenden später ein.
Diese Ergebnisse unterstützen die sogenannte „Digital Goldilocks“-Hypothese, die besagt, dass eine moderate Bildschirmzeit an sich nicht schädlich ist, da sie beispielsweise durch die Einbindung des Nutzers in soziale Medien auch positive Effekte haben kann. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass der negative Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Wohlergehen schwach ist und von anderen Einflussfaktoren deutlich überlagert werden kann.
Enge Verknüpfung mit den Bedingungen im „echten“ Leben
Eine wichtige Rolle bei diesen Studien spielt, dass die Menschen unterschiedliche Online-Erfahrungen haben – die wiederum oft auch Unterschiede in den Lebensverhältnissen zum Beispiel in Bezug auf den sozioökonomischen Hintergrund widerspiegeln. Untersuchungen der amerikanischen Psychologin Candice Odgers zeigen, dass Jugendliche, die im realen Leben mit mehr Widrigkeiten umgehen müssen, mit größerer Wahrscheinlichkeit die negativen Auswirkungen der Nutzung von Smartphones und anderer digitaler Geräte spüren – eine Beobachtung, die sie als „social-media spillover“ bezeichnet.
Zum Beispiel sind Heranwachsende, die bereits im echten Leben zu Opfern wurden, eher dem Online-Mobbing ausgesetzt. Teenager aus ärmeren Verhältnissen werden von ihren Eltern weniger bei der Internetnutzung begleitet, auf diese Weise kommt es zu einer Art digitaler Kluft, so dass unterschiedliche Online-Erfahrungen die Risiken gerade derjenigen Jugendlichen erhöhen, die auch im analogen Leben schon verletzlicher sind.