Affenähnlicher als gedacht: Der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse bewegte sich wohl doch hangelnd von Baum zu Baum – anders als zuvor angenommen. Darauf lassen neue Analysen der Handanatomie des 4,4 Millionen Jahre alten Hominiden Ardipithecus ramidus schließen. Die Ergebnisse stellen frühere Studien in Frage, denen zufolge „Ardi“ bereits menschenähnliche Hände hatte.
Ardipithecus ramidus gilt als der älteste bekannte Vorfahr des Menschen. Berühmt wurde vor allem das 2009 erstmals beschriebene und auf den Namen „Ardi“ getaufte Fossil eines Weibchens, das vor 4,4 Millionen Jahren in Äthiopien lebte – rund 1,2 Millionen Jahre vor der Australopithecus-Frau „Lucy“. Damit ist „Ardi“ dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse am nächsten.
Für Aufsehen sorgte das Fossil auch, weil die Forscher davon ausgingen, dass „Ardi“ anders als Menschaffen nicht auf den Knöcheln, sondern auf den Handflächen ging. Die Hände waren den damaligen Untersuchungen zufolge zwar hervorragend zum Klettern geeignet, aber weniger zum Hangeln und Schwingen.
Vergleich mit anderen Menschen- und Affenarten
Dieser Einschätzung widerspricht jetzt ein Team um Thomas Prang von der Texas A&M University anhand neuer anatomischer Analysen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Hand von Ardipithecus ramidus trotz subtiler Unterschiede deutliche Ähnlichkeiten zu Menschenaffen aufweist“, berichten die Forscher.
Zu den typischen Anpassungen für eine hangelnde Fortbewegungsart zählen lange, gekrümmte Fingerknochen und ein kleiner, weniger geschickter Daumen. Frühere Studien zufolge schienen diese Merkmale bei „Ardi“ zu fehlen. Doch Prang und Kollegen kommen zu einem anderen Ergebnis. Sie analysierten für ihre Studie die Finger- und Mittelhandknochen des berühmten Fossils und verglichen diese mit Hilfe statistischer Software mit der Handanatomie anderer lebender und ausgestorbener Menschen- und Affenarten.
Hangelnde Hände
Die vergleichenden Analysen ergaben: Die Längenverhältnisse und die Form der Finger- und Handknochen des Ardipithecus ähneln doch stärker denen, die sich bei hangelnden Affen finden. Zudem lässt die Krümmung der Knochen darauf schließen, dass „Ardi“ doch auf den Knöcheln statt auf den Handflächen ging. Die Füße hingegen waren offenbar bereits an eine Fortbewegung auf dem Boden angepasst.
„Das Vorhandensein einer an das Hangeln angepassten Hand und eines terrestrisch angepassten Fußes bei Ardipithecus ramidus ist bemerkenswert, weil diese Kombination nur bei heute lebenden knöchelgehenden Menschenaffen beobachtet wird“, so die Forscher. „Die knöchellaufende Handhaltung ist ein Kompromiss, der es großwüchsigen, hangelnden Affen ermöglicht, einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit auf dem Boden zu verbringen.“
„Ardi“ bewegte sich demzufolge ähnlich wie heutige Menschenaffen: Sie schwang von Baum zu Baum, konnte aber auch auf dem Boden gehen, wobei sie sich typischerweise auf allen Vieren fortbewegte. Ihre Hände waren weniger generalisiert als bisher angenommen. Größere evolutionäre Verschiebungen hin zu Händen, die für den Werkzeuggebrauch angepasst sind, fanden demnach erst später statt.
Rückschlüsse auf den gemeinsamen Urahn
Die Befunde zu „Ardi“ deuten den Forschern zufolge auch darauf hin, dass der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschen und Menschenaffen noch deutlich affenähnlicher war als gedacht. „Zusammengenommen falsifizieren diese Ergebnisse die Hypothese, dass sich Homininen aus einem Vorfahren mit einer generalisierten Hand entwickelt haben, der keine Anpassungen an das Hängen hatte“, schlussfolgern Prang und Kollegen.
Um die Entwicklungen, die schließlich zur menschlichen Hand führten, besser zu verstehen, seien weitere Forschungen und fossile Belege erforderlich. (Science Advances, 2021, doi: 10.1126/sciadv.abf2474)
Quelle: AAAS/ Science Advances