Bei Tierversuchen handelt es sich oft um modellhafte Forschungen, um beispielsweise den Menschen, seine Körperfunktionen und etwa seine Reaktionen auf Wirkstoffe grob zu verstehen. Gerade, weil es sich nur um grundsätzliche Modelle handelt, ist stark umstritten, inwieweit man die Ergebnisse der Tests auf den Menschen übertragen kann.
Tier bleibt Tier
Obwohl Tierarten in einigen Bereichen ihrer Anatomie, ihrer Körperfunktionen, der Psyche und ihrem Verhalten untereinander und dem Menschen ähnlich sind, ist die medizinische Forschung an Tieren nicht immer ganz aussagekräftig. Man kann zum Beispiel nicht jedes Wissen über Fische, Mäuse und Co. eins zu eins auf komplexe, höher entwickeltere Lebewesen wie den Menschen übertragen. Manche Kritiker sprechen sogar nur von einer Übertragbarkeit von unter einem Prozent.
Ein Beispiel dafür ist etwa die Wirkung eines Inhaltsstoffs von Kakaobohnen – Theobromin: Er ist für alle Säugetiere giftig, aber der Abbau erfolgt zum Beispiel bei Hunden deutlich langsamer als bei Menschen. Deshalb sind schon für Menschen problemlos verträgliche Mengen von Schokolade für Hunde giftig. Außerdem weiß man, dass zum Beispiel Asbest-Verbindungen bei Ratten erst in 300-fach höherer Dosis als beim Menschen krebsauslösend sich und sich die Körperreaktionen der Nager deshalb nicht in jedem Fall mit denen des Menschen vergleichen lassen.
Arzneiforschung mit Risiko
Da Tiere verschiedener Arten ganz unterschiedlich auf Chemikalien und Wirkstoffe reagieren und sie zum Beispiel auch nicht von der gleichen Ursache, im gleichen Maße und zum gleichen Zeitpunkt an Krebs erkranken, führen ein Großteil der Tierversuche der Arzneiforschung nicht zu einem für den Menschen verträglichen Medikament und können gar nicht erst verkauft werden. So haben sich beispielsweise schon mehrere im Tierversuch vielversprechende Ansätze gegen Alzheimer als beim Menschen nicht wirksam erwiesen.
In der Vergangenheit ist es zudem schon vorgekommen, dass die Entwicklung von Medikamenten mittels Tierversuchen fatale Folgen hatte. Zum Beispiel löste das anhand von Tierexperimenten geprüfte und für sicher gehaltene Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan bei Embryonen schwerste Missbildungen aus, wenn es von Schwangeren eingenommen wurde.
Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte Antikörper TGN1412, der zur Behandlung von Multipler Sklerose, Blutkrebs und Rheuma genutzt werden sollte. Während er in Tierversuchen mit Ratten und Affen sowie in Zellkulturen keine starken Nebenwirkungen hervorrief, löste er bei klinischen Tests mit acht gesunden, jungen Männern schwerwiegenden Folgen aus. Obwohl die Probanden nur eine Dosis von 0,1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht bekamen – nur ein Fünfhundertstel der vorher im Tierversuch als gefahrlos ermittelten Menge – führte sie bei allen nach wenigen Stunden zu Organversagen oder Atemnot und die Betroffenen schwebten tagelang in Lebensgefahr.
Neben Medikamenten, die nur bei Tieren, aber nicht beim Menschen heilsam wirken, können andererseits auch Wirkstoffe, die im Tierversuch nicht gegen eine Krankheit geholfen haben, es trotzdem beim Menschen tun. Daher könnte es sein, dass Medikamente aufgrund eines fehlgeschlagenen Tierversuchs nicht weiter erforscht werden und es den Patienten an neuen Behandlungen fehlt, die Leben retten könnten. Die Tiere sind dann umsonst gestorben.
Der Mensch als komplexes Lebewesen
Auch Untersuchungen einiger Krankheiten, wie beispielsweise Tierversuche zu Schlaganfällen, lassen sich laut Forschern aufgrund der anatomischen Unterschiede schwer umsetzen: Unter anderem besteht das menschliche Hirn zum Beispiel aus einem viel größeren Anteil an weißer Substanz als das Hirn von Nagern. Zudem funktioniert die Blutversorgung des Gefäßrings beim Tier hauptsächlich über die Halsschlagader, beim Menschen aber zusätzlich über die Wirbelarterie.
Schon diese scheinbar minimalen Unterschiede können bereits dramatische Auswirkungen haben. Entscheidend sind diese Details beispielsweise bei der Wahl von chirurgischen Zugangswegen und Behandlungsmethoden. Ebenso werden Tierversuche kritisiert, mit denen psychische Erkrankungen beim Menschen erforscht werden sollen. Die Psyche eines Menschen sei auch trotz genetischer Manipulationen der Versuchstiere in ihrer Komplexität nicht nachzuahmen, so die Meinung mancher Forscher.
Und auch, wenn Tierversuche zumindest modellhaft Erkenntnisse über eine Krankheit und biologische Prozesse liefern, lässt sich damit beispielweise nicht ohne menschliche Testpersonen eine künftige Therapie für den Menschen entwickeln. Tiermodelle stellen daher immer nur erste Schritte bei der Suche nach einer Behandlung dar.
Das Tier erst „vermenschlichen“
Ein weiteres Problem der Übertragbarkeit ist auch, dass nicht alle Tiere an den gleichen Krankheiten wie der Mensch erkranken: Zum Beispiel kann man mit normalen Mäusen und Ratten nicht nach einem Impfstoff gegen eine Infektion mit dem Coronavirus forschen, weil ihre Zellen nicht den gleichen ACE2-Rezeptor tragen wie die menschlichen. Deshalb erkranken die Nager nicht an Covid-19.
In diesem und anderen Fällen müssen Forscher die Tiere erst gentechnisch manipulieren, sodass sie bestimmte menschliche Zellen, Moleküle oder Gewebe bilden. Laut Tierschutzbund wurden beispielsweise alleine im Jahr 2019 bei fast einer Million Tieren Erbinformation manipuliert, um sie künstlich krank oder dem Menschen ähnlicher zu machen.
Tiere leben nicht wie Menschen
Zudem gehören zu den häufigsten Erkrankungen der Menschen in Industrieländern auch Zivilisationskrankheiten, wie etwa Adipositas oder Diabetes, die auch stark durch die Lebensweise verursacht werden. Mit Tieren, die diese Krankheiten natürlicherweise nicht bekommen, weil sie unter anderem weder rauchen noch Alkohol trinken, können die Ursachen der Erkrankungen und die Konsequenzen von über Jahrzehnten erfolgtem menschlichem Verhalten daher nur eingeschränkt erforscht werden.