Geowissen

Erhöhte Erdbebengefahr für Los Angeles?

Ausläufer der San-Andreas-Verwerfung bewegt sich mehr als gedacht

Mission Creek Fault
Durch dieses Tal südöstlich von Los Angeles verläuft die Mission-Creek-Störung – einer der Äste der San-Andreas-Verwerfung. Sie ist weit aktiver als bislang vermutet. © Kimberly Blisniuk/ San Jose State University

Unterschätzte Gefahr: An einem Ausläufer der südlichen San-Andreas-Verwerfung könnte ein Erdbeben drohen. Denn der Untergrund entlang der Mission-Creek-Störung bewegt sich mehr als bislang gedacht, wie Messungen historischer Versatzspuren nun belegen. Die Verwerfung könnte dadurch genug Spannung angestaut haben, um abrupt sechs bis neun Meter zu springen – das würde ein schweres Erdbeben im Hinterland von Los Angeles auslösen.

Kalifornien liegt auf einem tektonischen Schleudersitz und mit ihm die Millionenstädte Los Angeles und San Francisco. Denn unter ihnen bewegen sich die Nordamerikanische und die Pazifische Platte seitlich aneinander vorbei. Schon länger sagen Seismologen voraus, dass das nächste schwere Erdbeben nur eine Frage der Zeit ist. Denn an den Hauptverwerfungen der Plattengrenze, darunter der San-Andreas-Verwerfung und der Hayward-Spalte, ist eine Entladung der aufgestauten Spannungen längst überfällig.

Mission-Creek-Verwerfung
Lage und Bedeutung des Mission-Creek-Arms. © Blisniuk et al./ Science Advances, CC-by-sa 4.0

Gewirr von Ausläufern der San-Andreas-Spalte

Das Problem jedoch: Die San-Andreas-Verwerfung ist in mehrere Äste aufgespalten, die jeweils unterschiedlich aktiv sind. Besonders unübersichtlich ist die seismologische Situation südlich von Los Angeles im Gebiet des Coachella Valley: „An diesem Abschnitt ist die San-Andreas-Verwerfung mehrsträngig und es ist unklar, welcher Strang den meisten Versatz erfährt und damit das höchste Risiko für einen Bruch aufweist“, erklären Kimberly Blisniuk von der San Jose State University und ihre Kollegen.

Gleich vier Ausläufer der Verwerfung durchziehen das Gebiet: die Mission-Creek-, Banning-, Garnet-Hill- und San-Gorgonio-Pass-Störung. Bisher gingen Seismologen davon aus, dass vor allem die letzten drei Seitenarme aktiv sind, dass aber die Mission-Creek-Verwerfung schon vor mehr als 100.000 Jahren durch einen Knick im Hauptast der San-Andreas-Spalte von der Plattenbewegung abgekoppelt wurde – und daher inaktiv ist.

Indizien für einen aktiven Versatz

On das wirklich so ist, haben nun Blisniuk und ihr Team vor Ort untersucht. Für ihre Studie suchten sie in der Landschaft des Mission Creek nach Spuren früherer Versatzbewegungen entlang der Verwerfung. Denn Gräben, abgeknickte Bachläufe und andere Landschaftsformen können Aufschluss darüber geben, wie stark der Untergrund bei früheren Beben gesprungen ist. Mithilfe von Uran-Blei- und Beryllium-10-Datierungen prüfte das Team zudem, wann diese Versatzspuren entstanden sind.

Das Ergebnis: Entgegen gängiger Annahme herrscht an der Mission-Creek-Spalte keineswegs seit 100.000 Jahren Ruhe. Stattdessen hat es auch in der Zwischenzeit immer wieder Sprünge und Brüche an dieser Verwerfung gegeben. Aus diesen Daten errechneten Blisniuk und ihr Team, dass sich der Untergrund entlang des Mission-Creek-Seitenasts um 21,6 Millimeter pro Jahr gegeneinander verschiebt – weit mehr als bislang angenommen.

Mission-Creek steht unter Spannung

Das aber bedeutet: Der Mission-Creek-Ast ist sogar für den größten Teil der Bewegung im südlichen San-Andreas-System verantwortlich. Von den insgesamt gut 24,1 Millimetern pro Jahr trägt Mission Creek mit 21,6 Millimetern den Löwenanteil bei. Der bislang für aktiver gehaltene Banning-Arm bewegt sich dagegen nur um 2,5 Millimeter pro Jahr. „Diese Daten etablieren den Mission-Creek-Arm als primäre Verwerfung auf diesem Teil der Plattengrenze zwischen der nordamerikanischen und pazifischen Erdplatte“, konstatieren die Wissenschaftler.

Damit aber geht von der bislang wenig beachteten Verwerfung auch eine erhöhte Bedrohung aus. Denn obwohl der Untergrund beiderseits der Mission-Creek-Spalte stetig gegeneinander bewegt, hat es seit fast 300 Jahren keinen Sprung oder Bruch entlang der Störungen der südlichen San-Andreas-Verwerfung gegeben. Das deutet darauf hin, dass das Gestein verhakt ist und sich allmählich immer mehr Spannung im Untergrund aufstaut.

Genug Spannung für ein starkes Beben

Konkret schätzt das Forschungsteam, dass Mission Creek genug Spannung für einen sechs bis neun Meter großen Versatz angesammelt hat. „Das unterstreicht das Potenzial für ein starkes Erdbeben entlang dieser Störung“, so die Wissenschaftler. Sollte sich diese Spannung in einem Erdbeben entladen, könnte sich das Beben über angrenzende Verwerfungen ausbreiten und bis in die San Bernardino Mountains südlich von Los Angeles ausstrahlen.

Für die Millionenmetropole wäre dies eine akute Gefahr. „Die Mission-Creek-Arm schneidet wichtige Leitungen der Wasser- und Strom-Infrastruktur, die den Großraum Los Angeles versorgen“, erklären Blisniuk und ihre Kollegen. Die Bedrohung durch diesen bisher unterschätzten Ast der San-Andreas-Verwerfung müsse daher berücksichtigt werden. (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.aaz5691)

Quelle: Science Advances

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