So vermeintlich offen das US-Militär ihr Camp Century in Grönland propagierte, so geheim war der eigentliche Zweck dieses US-Außenpostens im Eis. Denn er diente als Testgelände für das „Project Iceworm“ – den Plan eines riesigen nuklearen Stützpunkts unter dem Eis.
Kalter Krieg in der Arktis
Die Motivation dahinter war klar: Anfang der 1960er Jahre waren die USA und die Sowjetunion auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Beide Seiten rüsteten massiv auf und suchten gleichzeitig nach Wegen, einen atomaren Erstschlag des Gegners zu verhindern, aber auch kontern zu können. Eine der strategisch wichtigsten Regionen dafür war die Arktis, weil sich dort beide Supermächte geografisch am nächsten kamen und potenzielle Angriffe durch Atomraketen am ehesten aus dieser Richtung kommen würden.
Während die Sowjetunion auf Atom-U-Boote, Horchposten in Sibirien und per Zug transportierbare Atomraketen setzte, setzten die USA auf Vorposten in Grönland. „Wissenschaft wird es uns erlauben, Grönland als arktisches Schwert und Schild zu nutzen – eine mächtige Bastion der abschreckenden Macht…“ hieß es 1958 in einem Bericht des Arctic Institute of North America, einem Think-Tank der US-Armee. „Moderne Technologie wird Militäroperationen im Hohen Norden ermöglichen – unter dem Eis, auf dem Eis und über dem Eis – etwas zuvor Undenkbares.“
Bereits 1951 sicherten sich die USA durch einen Vertrag mit der dänischen Regierung die Erlaubnis, US-Militärbasen auf der eisigen Insel zu errichten. Auch Camp Century wurde offiziell beantragt und genehmigt – als wissenschaftlich-militärische Teststation.
Ein subglaziales Waffenarsenal
Doch die wahren Pläne der US-Armee kannte Dänemark nicht – sie wurden erst 1997 publik. Demnach sah „Project Iceworm“ vor, den Norden Grönlands zu einem System subglazialer mobiler Abschussrampen für US-Atomraketen auszubauen. Auf einer Fläche von 130.000 Quadratkilometern – das entspricht der dreifachen Größe Dänemarks – sollte dafür das Eis untertunnelt werden.
In den verzweigten, insgesamt 4.000 Kilometer langen Tunneln würden man Schienen verlegen, auf denen dann rund 600 Atomraketen unter dem Eis gelagert und bewegt konnten. Der Plan sah vor, rund 2.100 subglaziale Kontrollzentren mit Abschussvorrichtung in dieses Tunnelsystem zu integrieren. Wenn es die Situation erforderte, konnte dann eine Atomrakete an diese Orte gebracht und von dem tiefer als acht Meter ins Eis versenkten Startsilos abgefeuert werden.
Stationiert werden sollten in dieser subglaziale Raketenbasis eigens dafür abgewandelte Minuteman-Interkontinentalraketen. Diese 1959 entwickelten dreistufigen Feststoffraketen waren 16 Meter lang und mit Treibstoff fast 30 Tonnen schwer. Mit einer Reichweite von 10.000 Kilometern hätte sie einen atomaren Sprengkopf von Grönland aus bis weit in die Sowjetunion hinein transportieren können. Allerdings war die Rakete in ihrem Ausgangszustand zu groß und schwer für die Tunnel. Daher plante die USA-Armee, für Project Iceworm eine nur zweistufige, verkleinerte „Iceman“-Version einzusetzen.
Waffen für den „Gegenschlag“
Die dahinterstehende Idee war es, auf diese Weise ein Reservoir an Waffen für den atomaren Gegenschlag zur Verfügung zu haben. Denn selbst wenn die Sowjetunion einen Atomangriff auf die USA wagen würde, wären diese entlegenen und unter dem Eis verborgenen Raketenstützpunkte wahrscheinlich nicht betroffen und konnten dann Vergeltung üben – so die Logik des Kalten Krieges.
Camp Century spielte in diesem Szenario die Rolle eines Testfelds und Prototyps: In der subglazialen Stadt sollten Methoden und Technologien getestet werden, die den Bau des enormen Tunnelsystems ermöglichen würden. Auch die autonome Energieversorgung durch Atomreaktoren, die psychologische und gesundheitliche Belastung für die Besatzung, aber auch die Umweltbedingungen und vor allem die Dynamik des Eises waren Gegenstand der vorbereitenden Tests und Versuche.
Doch das Eis, das als Tarnung und Versteck so geeignet schien, machte den ehrgeizigen Plänen der US-Militärs einen Strich durch die Rechnung…