Reaktives Reinigungsmittel: Blitze und nicht sichtbare elektrische Entladungen erzeugen überraschend große Mengen an atmosphärischen Oxidantien – reaktiven Sauerstoffverbindungen, die entscheidend zur Reinigung der Luft beitragen. Dadurch könnten Blitzentladungen sogar für bis zu 16 Prozent der globalen Hydroxyl-Oxidantien in der Atmosphäre verantwortlich sein, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Elektrische Entladungen in Gewitterwolken erzeugen enorme Spannungen und weithin sichtbare Blitze. Doch sie katalysieren auch die Bildung von verschiedenen reaktionsfreudigen Sauerstoffverbindungen in der Atmosphäre. Aus der Spaltung von Wassermolekülen entstehen dabei Ozon und die Radikale Hydroxyl (OH) und Hydroperoxyl (HO2). Aus der Trennung der zweiatomigen Stickstoffmoleküle (N2) bildet sich über mehrere Schritte das hochreaktive Stickstoffmonoxid (NO).
Diese reaktionsfreudigen und meist kurzlebigen Verbindungen gelten als wichtige Reinigungsmittel der Atmosphäre. Vor allem das Hydroxyl reagiert mit vielen Luftschadstoffen und trägt dazu bei, sie in unschädliche oder schnell abregnende Formen umzuwandeln.
Hydroxyl-Peaks in der Gewitterwolke
Jetzt belegen neuen Messungen, dass Blitze für den stetigen Nachschub des atmosphärischen Hydroxyls eine wichtigere Rolle spielen als bislang gedacht. Für ihre Studie waren William Brune von der Pennsylvania State University und sein Team mit einem Messflugzeug über mehrere Tage hinweg immer wieder durch Gewitterwolken geflogen und hatten dabei elektrische und chemische Messungen durchgeführt. Parallel dazu wurde die Blitzaktivität vom Boden aus aufgezeichnet.
Die Messungen ergaben: Vor allem im oberen Teil der Gewitterwolken, dem sogenannte Amboss, registrierten die Forschenden immer wieder überraschend hohe Hydroxyl- und HO2-Werte. Die Konzentrationen reichten von wenigen Dutzend bis zu mehr als Tausend parts per trillion (ppt) – Teilchen pro einer Billion Luftteilchen. „Bis zu diesem Flug waren die höchsten je in der Atmosphäre gemessenen Werte rund 150 ppt für HO2 und wenige ppt für OH“, berichten Brune und sein Team.
Quadrillionen Moleküle pro Sekunde
Aus dem Abgleich mit den Blitzbeobachtungen und elektrischen Messungen schließen die Wissenschaftler, dass diese „Waschmittel“ der Atmosphäre direkt durch die elektrischen Entladungen in der Wolke erzeugt wurden. Dabei tragen auch nicht sichtbare, niederschwellige Entladungen überraschend viele zu diesen Prozessen bei: „Rund ein Drittel des HO2 wurde in Wolkenbereichen außerhalb der blitzreichen Zonen gemessen“, berichten Brune und seine Kollegen.
Insgesamt schätzen sie, dass alle Gewitter der Welt zusammen in jeder Sekunde zwischen 5 x 1028 und 1029 Hydroxylmoleküle erzeugen – 50.000 bis 500.000 Quadrillionen Moleküle pro Sekunde. Das liege um mehrere Größenordnungen über dem bisher angenommenen, so das Forschungsteam. Damit könnten Blitze und nicht sichtbare Entladungen in Wolken für rund zwei bis 16 Prozent des gesamten Atmosphären-„Waschmittels“ verantwortlich sein.
Modelle bislang unvollständig
Diese Ergebnisse könnten erklären, warum das atmosphärische Hydroxyl trotz seiner kurzen Lebensdauer und hohen Reaktivität nie auszugehen scheint: Es wird ständig durch Gewitter nachproduziert. Bisher wurden die nicht sichtbaren elektrischen Entladungen und ihre möglichen chemischen Produkte in den gängigen Modellen nicht berücksichtigt, wie die Forscher erklären. Wenn sich ihre Häufigkeit jedoch bestätigt, müsse die Hydroxyl- und Hydroperoxylbildung durch diese Gewitterprozesse mit aufgenommen werden.
Vor allem in den blitzreichen Tropen könnten Blitze und nicht sichtbare Entladungen eine entscheidende Bedeutung für die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre haben. „Wir haben unsere Messflüge nur über Oklahoma und Colorado gemacht, aber die meisten Gewitter gibt es in den Tropen“, sagt Brune. „Die Struktur der Gewitter ist dort eine ganz andere. Wir benötigen daher mehr Messflüge, um die Präzision unserer Ergebnisse zu erhöhen.“ (Science, 2021; doi: 10.1126/science.abg0492)
Quelle: Science, Pennsylvania State University