Auch wenn das Tempo der Erstimpfungen gegen das Coronavirus momentan stockt: Bis Mitte Juli könnten 75 Prozent aller Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland mindestens einmal geimpft sein – so die aktuellen Berechnungen von Experten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Vakzinen wie geplant geliefert werden und dass rund ein Viertel der Erwachsenen auch einen Vektorimpfstoff wie AstraZeneca oder Johnson & Johnson akzeptiert.
Bisher sind vier Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in der EU und Deutschland zugelassen: die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna, sowie die auf einem Adenovirus als Träger basierenden Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson. Nach einem eher schleppenden Start der Impfkampagne werden in Deutschland inzwischen im Schnitt gut 650.000 Impfdosen pro Tag verabreicht. 35,7 Millionen Menschen haben mindestens eine Impfdosis erhalten, 14,6 Millionen sind vollständig immunisiert.
Was ist bis wann machbar?
Nachdem nun am 7. Juni die Priorisierung für die Impfreihenfolge fallen wird und auch Kinder ab zwölf Jahren bald mit BioNTech/Pfizer geimpft werden können, stellt sich die Frage, wie schnell nun auch der Rest der Impfwilligen versorgt werden kann. Neue Prognosen dazu liefern nun Sebastian Dullien und Andrew Watt vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Auf Basis aktueller Impfstatistiken haben sie einen „Impfpfad“ berechnet, der anzeigt, wie viele Menschen bis wann geimpft sein könnten.
Das Ergebnis: Nach einer absehbaren Verlangsamung Anfang Juni durch anstehende Zweitimpfungen könnte das Impftempo zum Monatsende hin wieder Fahrt aufnehmen. Bis Anfang Juli könnten dann bereits 75 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft sein – das entspricht rund 52,1 Millionen Menschen. In der zweiten Julihälfte könnten auch drei Viertel der Jugendlichen ab zwölf Jahren ihre erste Impfung erhalten haben.
Bis Anfang September, also zum Beginn des nächsten Schuljahrs in vielen Bundesländern, könnten dann schon insgesamt 75 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahren vollständig geimpft sein.
Wie viel Impfstoff kommt?
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass alle für Juni zugesagten Impfstoff-Lieferungen auch ankommen. Im Schnitt sind 2,5 Millionen Impfdosen pro Woche eingeplant und zusagt. Davon entfallen zwischen 1,3 und 1,7 Millionen Dosen wöchentlich auf das mRNA-Vakzin von BioNTech/Pfizer, rund 500.000 auf Moderna und zwischen 200.00 und gut 500.000 auf den Vektor-Impfstoff von AstraZeneca.
Im Juni wird ein Großteil der gelieferten mRNA-Impfstoffe für Zweitimpfungen benötigt werden: „Von den für Juni angekündigten Lieferungen von 28,6 Millionen Dosen mRNA-Impfstoff sind bei Einhaltung des empfohlenen Abstands 13,4 Millionen Dosen für Zweitimpfungen notwendig“, erklären die Forscher. „Insbesondere in den Kalenderwochen 23 und 24 wird deshalb wenig Impfstoff für mRNA-Erstimpfungen verfügbar sein.“
Auf die Vektor-Impfstoffe kommt es an
Dennoch halten Dullien und Watt es für durchaus realistisch, dass bis Anfang Juli drei Viertel der Erwachsenen zumindest einmal geimpft sein werden. Machbar sei dies allerdings nur dann, wenn die Bevölkerung auch die Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson akzeptiere. Den Berechnungen zufolge müsste rund ein Viertel der noch nicht geimpften, aber impfwilligen Erwachsenen bereit sein, sich mit diesen Vakzinen impfen zu lassen – darunter auch viele Menschen unter 60 Jahren.
Bisher allerdings hat das AstraZeneca-Vakzin vor allem für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. Erst gab es bei den Zulassungsstudien Ungereimtheiten bei der Dosierung und Wirksamkeit, dann entwickelten überproportional viele mit AstraZeneca Geimpfte eine seltene Hirnvenenthrombose – eine möglicherweise durch eine Autoimmunreaktion ausgelöste Nebenwirkung. Vor Kurzem dann stellte sich heraus, dass der Impfstoff Verunreinigungen durch virale und humane Proteine aus den Anzuchtkulturen enthält.
Sonderrolle für Johnson & Johnson
Eine Sonderstellung hat der Vektor-Impfstoff von Johnson & Johnson: Zwar sind von ihm nur 10,1 Millionen Dosen bis Ende Juni zugesagt. Weil man aber nur eine Dosis für die vollständige Immunisierung benötigt, könnte dieses Vakzin eine wichtige Rolle für einen schnellen Impffortschritt spielen: „Das Tempo der deutschen Impfkampagne hängt am Impfstoff von Johnson & Johnson“, so Dullien und Watt.
Das Problem jedoch: Der Hersteller hat bisher seine Lieferverpflichtungen nicht eingehalten, ob die angekündigte Menge auch kommt, ist daher völlig unklar. Sollten die Lieferungen ausfallen, würde dies dem Impffortschritt doppelt bremsen. Denn jede nicht mit Johnson & Johnson mögliche Impfung müsste durch zwei Dosen eines anderen Impfstoffs ersetzt werden. Ein Komplettausfall der J&J-Impfungen ab Anfang Juni würde daher bedeuten, dass bis Ende Juli täglich zusätzlich 50.000 Impfungen mit anderen Vakzinen notwendig wären.
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung