Tödliche Kinderstube: Eine auf Borneo neu entdeckte Froschart wächst dort auf, wo normalerweise Insekten und andere Kleintiere sterben – in der Fangfalle einer fleischfressenden Kannenpflanze. Die Frösche legen ihre Eier in die Kanne ab und die Kaulquappen schlüpfen in der Verdauungsflüssigkeit der fleischfressenden Pflanze. Dort wachsen sie unbeschadet heran und schaffen es dann irgendwie, trotz glatter Wände aus der Falle zu entkommen.
Die tropischen Regenwälder auf Borneo bieten einen idealen Lebensraum für viele Froscharten und machen die Insel daher zu einem der globalen Hotspots für Amphibienvielfalt. Längst sind jedoch nicht alle auf der Erde lebenden Tier- und Pflanzenarten entdeckt worden, so dass laufend neue Arten beschrieben werden – ein Wettrennen mit der rasch fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Lebensräume.
Leben in Gemeinschaft mit einem pflanzlichen Fleischfresser
Eine besonders spektakuläre Neuentdeckung ist einem Team um Stefan Hertwig vom Naturhistorischen Museum Bern gelungen. Bei ihren Expeditionen im Pulong Tau Nationalpark in Sarawak stießen sie im Bergregenwald auf gut 2.100 Meter Höhe auf mehrere Exemplare einer neuen Froschart. Die 25 bis 30 Millimeter kleinen Amphibien gehören zu einer Gruppe tropischer Baumbewohner, den sogenannten Ruderfröschen, die in Asien und Afrika verbreitet sind.
Ungewöhnlich ist jedoch die Lebensweise der neu entdeckten Froschart. Denn ein Großteil des Lebenszyklus dieser Amphibien spielt sich auf und in fleischfressenden Kannenpflanzen der Art Nepenthes mollis ab. Von dieser Pflanze hat der Frosch auch seinen Namen Philautus nepenthophilus – „die Kannenpflanze Nepenthes Liebender“. Diese Pflanzen besitzen tiefe Fallen mit extrem glatten Wänden, in die Insekten und andere Kleintiere hineinrutschen. Am Grund der Kanne befindet sich eine mit Enzymen angereicherte Flüssigkeit, die die Beute dann bei lebendigem Leibe zersetzt und verdaut.
Tödliche Falle als Kinderstube
Die enge Verbindung von Frosch und Pflanze beginnt schon mit der Partnersuche: Die männlichen Frösche sitzen nachts auf den Kannen und locken mit lauten Rufen die Weibchen zur Paarung.
Lässt sich eine Partnerin auf diesen Lockruf ein, findet auch der nächste Schritt auf der Kannenpflanze statt. Nach der Paarung legt das Froschweibchen ihre ungewöhnlich großen Eier ausgerechnet dort ab, wo andere Tiere sterben: In die Verdauungsflüssigkeit am Grund der Kannenpflanze.
Dort schlüpfen Kaulquappen, die ebenfalls ungewöhnlich sind: Sie widerstehen nicht nur den Verdauungsenzymen in der Kanne, sondern entwickeln sich auch ohne äußere Nahrungszufuhr. Die Kaulquappen des Kannenpflanzenfroschs decken ihren gesamten Nährstoffbedarf aus dem Eidottervorrat in ihrem Darm. Deshalb besitzen sie auch nur winzige, reduzierte Mäulchen ohne Zähne. Wie es die aus diesen Kaulquappen heranwachsenden Frösche allerdings schaffen, die Kannen trotz der extrem rutschigen Wände wieder zu verlassen, ist noch unklar.
Neue Form des Mutualismus
Nach Ansicht der Forscher könnten dieser Frosch und seine enge Bindung an die Kannenpflanze eine neue Form des Mutualismus darstellen – eine Verbindung zum beiderseitigen Vorteil. „Die Frösche liefern der Pflanze mit den nitratreichen Eiern und den Ausscheidungen der Kaulquappen wertvolle Nährstoffe“, erklärt das Team. „Die Pflanze wiederum bietet einen exklusiven, geschützten Raum für die Entwicklung der Kaulquappen.“ Für den Frosch ist das vor allem deswegen ein entscheidender Vorteil, weil es in seinem Lebensraum sonst kaum dauerhafte Wasservorkommen, aber viele konkurrierende Froscharten gibt. (Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research, 2021; doi: 10.1111/jzs.12465)
Quelle: Naturhistorisches Museum Bern