Im Falle von SARS-CoV-2 wird vor allem die versehentliche Freisetzung als mögliche menschengemachte Ursache diskutiert – beispielsweise durch einen Laborunfall, das Entwischen eines infizierten Labortiers oder die unwissentliche Weitergabe durch einen infizierten Mitarbeiter. Doch allgemein betrachtet gibt es bei Forschungen an potenziell gefährlichen Erregern noch ein weiteres Risiko: die absichtliche Nutzung eines manipulierten Erregers als Biowaffe.
Biowaffen-Verbot hält – noch
Biologische Kriegführung, also die Verwendung von Krankheiten oder natürlichen Giften als Waffe, ist bereits seit Jahrhunderten bekannt. So sollen zum Beispiel während der Belagerung der Stadt Kaffa auf der Halbinsel Krim im 14. Jahrhundert die belagernden Truppen Leichen von Pestopfern in die Stadt katapultiert haben, und im Zuge der Besiedelung Nordamerikas übergaben britische Militärangehörige amerikanischen Ureinwohnern im 18. Jahrhundert gezielt mit Pocken kontaminierte Decken und Kleidungsstücke.
Ebenso lange lassen sich die Ablehnung und Verbote solcher Kriegführung zurückverfolgen. Der Einsatz biologischer Waffen ist universell und weltweit geächtet. Seit fast 50 Jahren sind mit dem Biowaffen-Übereinkommen (BWÜ) zudem der Besitz, die Herstellung und die Weitergabe biologischer Waffen für die aktuell 183 Mitgliedsstaaten verboten. Ein Forschungsprojekt am Leibniz-Institut Hessische Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) geht der Frage nach, ob auch dieses Verbot inzwischen als völkergewohnheitsrechtliche Norm betrachtet werden kann.
Verstöße gegen das Biowaffen-Verbot waren bisher sehr selten. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich dies aufgrund veränderter politischer und technologischer Rahmenbedingungen ändert: Biowaffen könnten dann möglicherweise in Zukunft für Staaten, die vor einem Normbruch nicht zurückschrecken, interessanter werden.
Terroristen: Klauen statt selbst erzeugen
Auch für versuchte oder ausgeführte Terroranschläge mit Krankheitserregern und natürlichen Giften gibt es bisher nur einzelne Beispiele. Dazu zählen etwa die „Milzbrand-Briefe“ in den USA im Oktober 2001 oder der 2018 in Köln vereitelte Versuch, das Pflanzengift Rizin per Explosion zu verteilen. Einigen transnationalen Terrororganisationen wird zudem ein Interesse an biologischen
Waffen nachgesagt.
Die technologischen Hürden dafür, Krankheitserreger für einen terroristischen Einsatz künstlich herzustellen oder zu verändern, sind jedoch sehr hoch. Der Zugriff auf im Zuge von DURC-Forschungen bereits erzeugte Erreger könnte daher für terroristische oder kriminelle Akteure womöglich eine erstrebenswerte Option darstellen. Zwar werden sicherheitsrelevante Forschungen in der Regel unter hohen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt, so dass ein absichtliches Entwenden schwierig und ein versehentliches Entweichen unwahrscheinlich ist. Unfälle mit ansteckenden Krankheitserregern kommen trotzdem immer wieder vor.
Gerade weil – auch unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie – sicherheitsrelevante Experimente künftig noch häufiger durchgeführt werden könnten, sollten daher parallel auch wirksame, angemessene Biosicherheitsmaßnahmen diskutiert und eingeführt werden.
Es geht nur interdisziplinär
All dies demonstriert, dass das Schlagwort „Biosicherheit“ Problematiken vereint, die ursprünglich in getrennten Forschungsbereichen behandelt wurden. Die Eindämmung und Prävention von Infektionskrankheiten fällt in den Bereich der globalen Gesundheitsförderung und -forschung. Der Schutz vor einer versehentlichen Freisetzung gefährlicher Krankheitserreger berührt dazu Fragen der Arbeitssicherheit. Die Verhütung von unbefugtem Zugriff und absichtlicher Ausbringung erfordert auch eine polizeiliche, rechtliche und sicherheitspolitische Bearbeitung.
Zur Verhütung des Einsatzes von Krankheiten als Waffe braucht es schließlich diplomatische, geheimdienstliche und verteidigungspolitische Bemühungen. Zusammen umspannen diese Themen das gesamte Spektrum biologischer Risiken, das von natürlichen Krankheitsausbrüchen über Laborunfälle, kriminelle Aktionen und Bioterrorismus bis zu staatlichen Biowaffenprogrammen
reicht.
Verschiebungen auch in der Politik
In der politischen Praxis spiegelt sich dies zum Beispiel in einer Diskursverschiebung innerhalb der Institutionen für biologische Abrüstung. Wie die Autorin in einem Projekt des Frankfurter Exzellenzclusters „Normative Ordnungen“ untersucht hat, haben sich die Schwerpunkte und Diskurse der diplomatischen Bemühungen zur Biowaffenkontrolle von der klassischen biologischen Abrüstung in den vergangenen 20 Jahren zunehmend entfernt: Zwischenstaatliche verbindliche Transparenz- und Kontrollmaßnahmen traten weitgehend in den Hintergrund, während sich die Staaten zunehmend auf die nationale Vorbereitung auf und Abwehr von biologischen Gefahren des gesamten Spektrums konzentrierten.
Auch die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der sich rasant entwickelnden Biologie und Biotechnologie, unter anderem auch zur Förderung der globalen Gesundheit, nimmt
zunehmend Raum ein. Hier schließt sich der Kreis zur Frage nach dem Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungen als einem wichtigen und derzeit kontrovers diskutierten Bereich des Themenfeldes „Biosicherheit“.