Internationale Kooperation aus Materialwissenschaft und Medizin entwickelt individuell aktivierbares Gelpflaster aus dem 3D-Drucker.
Durchblutungsstörungen, eine Diabetes-Erkrankung oder langes Liegen auf derselben Stelle können zu chronischen Wunden führen, die auch nach Wochen nicht abheilen. Wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten gibt es kaum. Ein Forschungsteam aus den Materialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), der Harvard Medical School, USA, und der Dankook University, Südkorea, ein Wundpflaster mit heilungsfördernden Funktionen entwickelt, die patientenspezifisch angepasst werden können. Das per 3D-Druck hergestellte Pflaster wirkt antibakteriell, versorgt die Wunde mit Sauerstoff sowie Feuchtigkeit und unterstützt die Bildung von neuem Gewebe. Durch die Bestrahlung mit speziellem Licht wird die Wirkung aktiviert und gesteuert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Materialwissenschaft und der Medizin stellten ihr Konzept kürzlich in der Fachzeitschrift Advanced Functional Materials vor, wo es als Titelgeschichte hervorgehoben wurde.
Basis des neu entwickelten Pflasters ist ein medizinisches Hydrogel. Durch seinen hohen Wassergehalt von 90 Prozent und vergleichsweise großen Zwischenräumen auf der Mikroskala kann das Pflaster chronische trockene Wunden optimal versorgen. Wichtigster Bestandteil sind jedoch antibakteriell wirkende Zinkoxid-Mikropartikel, die auf Licht reagieren und von den Kieler Materialforschenden entwickelt wurden. Gemeinsam mit einem Team des Brigham and Women’s Hospitals der Harvard Medical School fanden sie einen Weg, um auf den Mikropartikeln spezielle Proteine aufzubringen. Mit zellschonendem grünem Licht werden die Proteine aktiviert und regen so die Bildung neuer Blutgefäße an. Durch die verbesserte Durchblutung entsteht neues Gewebe und die Wunde kann sich schließen.
Kliniken sollen individuelle Pflaster im 3D-Drucker langfristig selbst herstellen können
„Indem wir die Wirkung des Pflasters mit Licht steuern, können wir den Verlauf und die Dosierung der Therapie an die individuellen Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten anpassen“, sagt Rainer Adelung, Professor für Funktionale Nanomaterialien am Institut für Materialwissenschaft der CAU und Sprecher des Graduiertenkollegs „Materials for Brain“. Die Materiawissenschaft spricht hier von einem ‚smart‘ Material, das selbstständig auf äußere Reize reagiert und darüber kontrolliert werden kann. Ähnlich funktionierende Hydrogelpflaster, die ebenfalls gezielt aktiviert werden können, existieren bereits – sie entfalten ihre therapeutische Wirkung allerdings durch Wärme oder elektrische Signale. „Diese Konzepte haben jedoch den Nachteil, dass sich dabei auch die Wunde erwärmt und Hydrogele sich zu zersetzen beginnen“, erklärt Adelung.
Das Forschungsteam hofft, dass Kliniken sein multifunktionales, steuerbares Pflaster langfristig selbst im 3D-Drucker herstellen und mit sehr hellen, grünen LEDs direkt an den Patientinnen und Patienten aktivieren können. „Per 3D-Druck lässt sich sowohl die Form des Pflasters als auch die Konzentration der Zinkoxidpartikel und die Proteinsorte individuell anpassen“, sagt Erstautor Dr. Leonard Siebert, der an der CAU gerade seine Promotion zu innovativen 3D-Druck-Methoden abgeschlossen hat. Während eines mehrmonatigen Forschungsaufenthalts an der renommierten Harvard Medical School in Boston arbeitete der Materialwissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Professorin Su Ryon Shin, die medizinische Hydrogele mit speziellen Bio-3D-Druckern herstellt. „Unsere Partikel haben eine Tetrapodenform, sie bestehen also aus mehreren ‚Armen‘. Dadurch lassen sich zwar besonders viele unserer wichtigen Proteine auf ihnen anbringen, aber sie passen nicht durch herkömmliche Druckerdüsen“, beschreibt Siebert eine der Herausforderungen ihres Ansatzes. In Boston entwickelte er schließlich eine Methode, um die Zinkoxidpartikel aus seiner Kieler Arbeitsgruppe zusammen mit den Hydrogelen zu drucken.
Testergebnisse aus Kiel, USA und Südkorea zeigen Potential des Pflasters für personalisierte Medizin
Außerdem arbeiteten die Kieler Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eng mit Professor Helmut Fickenscher, Infektionsmediziner an der CAU und am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), zusammen. Er und sein Team testeten die antibakterielle Wirkung des Pflasters: Für 72 Stunden legten sie es auf einen Bakterienteppich und stellten fest, dass sich die Bakterien in einem Umkreis von mehreren Millimetern um das Pflaster nicht weiter ausbreiten. “Hierfür haben wir zwei typische Wundkeime verwendet, die sich in ihrem Aufbau grundlegend unterscheiden: Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa. Das Pflaster zeigte bei beiden Grundtypen eine therapeutische Wirkung, was auf einen universalen Effekt schließen lässt”, fasst Dr. Gregor Maschkowitz, medizinischer Fachmikrobiologe am UKSH zusammen. Weitere Tests an Lebendmodellen wurden am NBM Global Research Center for Regenerative Medicine der Dankook University, Südkorea, durchgeführt. Erste Ergebnisse weisen auch hier auf eine gute Verträglichkeit des Pflasters und eine verbessere Wundheilung hin.
„Dieses Pflaster ist ein spannendes Konzept für die personalisierte Medizin, um Menschen mit auf sie zugeschnittenen Therapien möglichst gezielt, effektiv und schonend zu behandeln. Es ist ein konkretes Beispiel für das vielversprechende Potential der Zusammenarbeit von Medizin und Materialwissenschaft, die künftig immer wichtiger werden wird“, fasst Professor Fickenscher das interdisziplinäre Kooperationsprojekt zusammen. Nachdem die ersten Tests gezeigt haben, dass ihr Konzept grundsätzlich gut funktioniert, wollen die Forschenden jetzt die Steuerung per Licht noch weiter verbessern, um Patientinnen und Patienten künftig eine effektivere personalisierte Wundbehandlung anbieten zu können. (Advanced Functional Materials, 2021; doi: 10.1002/adfm.202007555)
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel