Pandemie-Effekt mal anders: Ein Polarforscher hat den Corona-Lockdown genutzt, um ein faszinierendes Video zu produzieren – eigentlich ein bloßes Nebenprodukt seiner Forschung. Der Film zeigt die erstaunliche Vielfalt und Schönheit der Quallen, die unter dem antarktischen Meereis leben. Dieses Video wiederum gab den Anstoß, diese Nesseltiere genauer zu bestimmen und zu katalogisieren – unter anderem mithilfe eines KI-Systems.
Quallen erfreuen sich nicht gerade großer Beliebtheit, zumindest wenn sie am Meeresstrand auftauchen. Dabei können diese Nesseltiere von faszinierender Schönheit sein und sie besitzen erstaunliche Fähigkeiten: Einige lähmen ihre Beute mit tödlichem Gift, viele leuchten im Dunkeln und ihr Rückstoß-Antrieb gehört zu den effizientesten im gesamten Tierreich. Zudem haben die Quallen nahezu alle Lebensräume des Ozeans für sich erobert.
Quallen unterm antarktischen Eis
Sogar unter dem Packeis der Polargebiete tummeln sich unzählige Quallen, wie Emiliano Cimoli von der University of Tasmania feststellte, als er 2018 an einem Forschungsprojekt im antarktischen McMurdo-Sund teilnahm. Eigentlich war seine Aufgabe dabei, die Algengemeinschaften unter dem Meereis des Rossmeeres zu untersuchen. „Diese Algen sind für die Nahrungsketten der Antarktis sehr wichtig“, so Cimoli.
Doch bei den Algen blieb es nicht. Der passionierte Hobby-Tierfilmer und Fotograf nutzte seine freie Zeit auf dem Eis, um mithilfe von Makro-Kameras und Tauchrobotern die Vielfalt der unter dem Eis lebenden Quallen zu filmen. „In unserem Arbeitszelt hatten wir ein zwei mal zwei Meter großes Loch im Eis, durch das wir unsere Instrumente in diese subglaziale Welt hinablassen konnten“, erklärt der Forscher. „Das war wie ein magisches Portal in eine andere Welt – erfüllt von mysteriösen und wundervollen Quallen-Kreaturen.“
Video-Produktion im Lockdown
Das Ergebnis ist ein Film, der seine Entstehung auch der Corona-Pandemie verdankt: „Nach der Expedition hatte ich eine enorme Menge an Quallen-Filmmaterial und wusste eigentlich nicht, was ich damit tun sollte“, erzählt Cimoli. „Dann kam der Lockdown und plötzlich fand ich mich dabei wieder, eine abgedrehte Video-Komposition all dieser Kreaturen zusammenzustellen.“
Durch Zufall sah auch der Meeresbiologe Gerlien Verhaegen von der japanischen Meeresforschungsorganisation JAMSTEC den Quallenfilm. „Als die Emilianos Video sah, war ich über die hohe Qualität der Unterwasseraufnahmen erstaunt – man konnte entscheidende morphologische Merkmale der Nesseltiere klar erkennen.“ Weil Quallen Weichtiere sind, die sich nur schwer konservieren oder an Land untersuchen lassen, ist ihre Taxonomie bislang nur sehr lückenhaft erfasst.
Quallenbestimmung mithilfe der KI
Gemeinsam mit weiteren Kollegen begannen die beiden Forscher, die im Video aufgezeichneten Quallen systematisch zu erfassen und zu bestimmen. Dabei setzen sie auch einen lernfähigen Algorithmus ein: „In der Meeresbiologie ist es oft zeitaufwendig und teuer, Unterwasservideos zu sichten und die darin vorkommenden Arten zu markieren“, erklärt Dhugal Lindsay. „Technologien des maschinellen Lernens können dabei helfen, indem sie automatische Erstsichtungen und Markierungen von Videos durchführen.“
Den Forschern gelang es mithilfe dieser Methoden, zwölf im Video gezeigte Quallenarten zu bestimmen und wissenschaftlich zu beschreiben. Zwei Quallen und drei Rippenquallen erwiesen sich dabei als zuvor unbekannte, noch nie dokumentierte Spezies. (Biodiversity Data Journal, 2021; doi: 10.3897/BDJ.9.e69374)
Quelle: Pensoft Publishers