Paläontologie

Frühester Beleg für eine Dinosaurier-Herde

Vorgänger der Sauropoden lebten schon vor 193 Millionen Jahren in komplexen Sozialverbänden

Mussaurus
Die vor 193 Millionen lebenden Dinosaurier der Art Mussaurus patagonicus zogen nicht nur ihre Jungen gemeinsam auf, sie blieben auch später in der Herde zusammen. © Jorge Gonzalez

Sie bebrüteten gemeinsam ihre Nester, bildeten Jugendbanden und blieben auch als Erwachsene bei der Gruppe: Schon vor 193 Millionen Jahren lebten einige Dinosaurier in stabilen, strukturierten Sozialverbänden, wie nun Fossilfunde in Patagonien belegen. Die Nester, Jungtiere und Adulten des Pflanzenfressers Mussaurus patagonicus sind der älteste Beleg für eine Herdenbildung bei Dinosauriern. Diese könnte erklären, warum diese Vorfahren der langhalsigen Sauropoden so erfolgreich waren.

Viele pflanzenfressende Dinosaurier des späten Jura und der Kreidezeit lebten sozial: Fußabdrücke und Fossilien zeugen davon, dass vor allem die langhalsigen Sauropoden gewaltige Herden bildeten und ihre Eier in Nestkolonien ausbrüteten. Aber auch einige zu den fleischfressenden Theropoden gehörenden Dinos bilden möglicherweise eine Art „Jugendbanden„. Unklar blieb jedoch bisher, wann Dinosaurier erstmals soziale Verbände entwickelten.

Ausgrabungen
Ausgrabungen in der Laguna-Formation in Patagonien.© Alejandro Otero

80 Dinosaurier-Relikte und 100 Dino-Eier

Jetzt liefern Fossilfunde in Patagonien dazu neue Einblicke. Denn in der Laguna-Formation an der Südspitze Argentiniens hat ein Team um Diego Pol vom Paläontologischen Museum Egidio Feruglio im argentinischen Trelew die Relikte einer ganzen Herde von frühen pflanzenfressenden Dinosauriern ausgegraben. In drei aufeinanderfolgenden Gesteinsschichten stießen sie auf mehrere Nester, Fossilien von Jungtieren unterschiedlichen Alters sowie von adulten Exemplaren.

Die insgesamt 80 Einzeltiere und rund 100 Eier stammten alle von einer Art – der Spezies Mussaurus patagonicus. Diese bis zu drei Meter großen Pflanzenfresser gehören zur Gruppe der Sauropodomorpha und damit zu den Vorläufern der langhalsigen Sauropoden. Datierungen mithilfe von Zirkonkristallen in der Fundschicht ergaben, dass die Mossaurus-Fossilien rund 193 Millionen Jahre alt sind.

Soziale Struktur erkennbar

Das Entscheidende jedoch: Die in Patagonien entdeckten Mussaurus-Relikte lagen nicht zufällig durcheinandergewürfelt im Untergrund, wie an manchen anderen Fossilfundstätten der Fall. Stattdessen war eine altersabhängige räumliche Gruppierung zu erkennen. An einer Stelle des ehemaligen Seeufers lagen die Nester mit den Eiern. Die Funde solcher Nestern in drei aufeinanderfolgenden Schichten legen nahe, dass die Mussaurier mehrfach an diesen Ort zurückkehrten, um Jungtiere aufzuziehen.

Rund 50 Meter davon entfernt stießen die Paläontologen auf eine Gruppe von elf eng beieinander liegenden Jungtieren. „Diese Jungtiere waren offenbar Mitglieder eines Jahrgangs und starben gemeinsam, kurz bevor sie ihr erstes Lebensjahr erreichten“, berichtet das Team. Weiter außen in den Randbereichen der Fundstätte lagen die Fossilien von adulten Mussaurus-Exemplaren, die zum Zeitpunkt ihres Todes offenbar einzeln oder paarweise unterwegs gewesen waren.

Dino-Gruppe
Vom Neugeborenen über Halbwüchsige bis zu Erwachsenen: Bei Mussaurus lebten alle Altersstufen in einer Gemeinschaft.© Jorge Gonzalez

Leben im Sozialverband

Nach Ansicht von Pol und seinem Team ist diese Gruppierung ein starkes Indiz dafür, dass diese Dinosaurier nicht nur gemeinsam brüteten, sondern auch einen stabilen, alle Altersgruppen umfassenden Sozialverband bildeten. Denn anders als bei einer in Südafrika entdeckten, ähnlich alten Nestkolonie des Sauropodomorpha Massospondylus, sind in der patagonischen Kolonie auch halbwüchsige und fast ausgewachsene Tiere als Teil der Gruppe nachweisbar.

„Die Jungen bildeten mit ihren Eltern keine Kleinfamilie. Stattdessen gab es eine größere Gemeinschaft, in der die Erwachsenen sich die Aufgaben teilten und alle Jungen gemeinsam aufzogen“, erklärt Koautor Jahandar Ramezani vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die halbwüchsigen Mussaurus-Jungtiere sammelten sich währenddessen in eigenen kleinen Gruppen, die aber ebenfalls in der Herde blieben.

Ältester Beleg für eine Dino-Herde

Damit belegen diese Fossilien, dass Dinosaurier schon vor 193 Millionen Jahren in Sozialverbänden lebten. „Unsere Funde sind der älteste Beweis für eine strukturierte, nach Altersgruppen differenzierte Herdenbildung bei Dinosauriern“, konstatieren Pol und seine Kollegen. Diese Belege seien mehr als 40 Millionen Jahre älter als vergleichbare Zeugnisse aus dem späten Jura und der Kreidezeit.

„Mussaurus ist nicht der älteste Dinosaurier, aber es ist der älteste Dinosaurier, für den ein Herdenverhalten nachweisbar ist“, sagt Pol. Er und sein Team gehen aber davon aus, dass sich die ersten Formen des Gruppenlebens bei diesen und anderen Sauropodomorpha sogar noch früher entwickelt haben könnten. Sie gehen möglicherweise schon bis in die späte Trias vor rund 210 Millionen Jahren zurück.

Der Fund der Mussaurus-Fossilien und was sie verraten. © CONICET

Dominant und erfolgreich dank der Herde?

Die Paläontologen vermuten, dass die Herdenbildung eines der Erfolgsgeheimnisse dieser pflanzenfressenden Dinosaurier war. Denn die Sauropodomorpha hatten sich schon in der späten Trias stark ausgebreitet und nach und nach fast alle anderen pflanzenfressenden Saurier aus ihren Lebensräumen verdrängt. „In vielen terrestrischen Ökosystemen waren sie damals die zahlreichsten Landwirbeltiere“, erklären die Paläontologen.

Anders als andere großen Pflanzenfresser dieser Zeit überstanden die Sauropodomorpha sogar das Massenaussterben am Ende der Trias vor 200 Millionen Jahren und bildeten so die Basis für die Entwicklung der Sauropoden. Nach Ansicht von Pol und seinen Kollegen könnten die hochentwickelten sozialen Fähigkeiten von Mossaurus und wahrscheinlich auch anderen Dinosauriern dieser Gruppe einer der Gründe für diesen Erfolg gewesen sein.

„Mussaurus gehörte zur ersten erfolgreichen Familie pflanzenfressender Dinosaurier. Wir postulieren daher, dass der Schutz der Jungen in der Herde und das soziale Wesen dieser langhalsigen Pflanzenfresser mit ein Grund war, warum sie auf allen Kontinenten so häufig waren“, sagt Pol. (Scientific Reports, 2021; doi: 10.1038/s41598-021-99176-1)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology, European Synchrotron Radiation Facility

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