Verblüffend alt: Die Aufteilung der Gene auf die verschiedenen Chromosomen ist im gesamten Tierreich erstaunlich gleich geblieben, wie eine Analyse enthüllt. Demnach haben sich diese Chromosomen-Einheiten seit der Entstehung der ersten Mehrzeller vor rund 600 Millionen kaum verändert – sie finden sich bei Schwämmen und Korallen ebenso wie beim Menschen. Zwar unterscheiden sich die einzelnen Gene und ihre Abfolge innerhalb der Chromosomen, ihre Grundaufteilung aber ist überraschend stabil.
Unser Erbgut liegt nicht willkürlich verteilt im Zellkern sondern ist in bestimmte „Pakete“ aufgeteilt – die Chromosomen-Einheiten. Bei uns Menschen bilden die DNA-Stränge 46 solcher Einheiten, die bei der Zellteilung zu 23 Chromosomenpaaren zusammengefaltet und verpackt werden. Dabei enthält jedes Chromosom einen Teil unserer Gene. Welche Gene gemeinsam auf welchem Chromosom liegen, ist dabei immer gleich.
Chromosomenvergleich quer durchs Tierreich
Wie aber sieht es bei anderen Tieren aus? Schon früher haben DNA-Analysen ergeben, dass viele der für uns typischen Gengruppen auch bei anderen Tieren zusammen auf demselben Chromosom liegen. Dabei ist zwar die Abfolge der Gene innerhalb der Chromosomen meist anders und auch die DNA-Sequenz der Gene zeigt Unterschiede. Aber die Zuordnung dieser Gengruppen zu bestimmten Chromosomen schien gleich – trotz aller Rekombination im Rahmen der Zellteilung und vor allem der Meiose.
Doch wie weit gehen diese chromosomalen Übereinstimmungen? Kommen sie nur bei eng verwandten Tieren vor oder erstrecken sie sich womöglich über eine größeren Teil des Organismenstammbaums? „Bisher blieb das phylogenetische Ausmaß dieser chromosomalen Syntenie unklar“, erklären Oleg Simakov von der Universität Wien und seine Kollegen. Sie haben daher erstmals systematisch die Chromosomen-Einheiten von Schwämmen, Nesseltieren und höheren bilateralsymmetrischen Tieren wie den Kammmuscheln verglichen.
Seit 600 Millionen Jahren stabil
Das überraschende Ergebnis: Bei den Genen, die alle diese Tiergruppen besitzen, ist die Aufteilung auf die Chromosomen fast identisch. „Wir haben 29 Gengruppen gefunden, deren chromosomale Verbindung bei Schwämmen, Nesseltieren und bilateria erhalten geblieben ist“, berichten Simakov und sein Team. „Die Syntenien sind selbst bei diesen unterschiedlichen Tiergruppen erstaunlich ähnlich, obwohl sie sich schon seit einer halben Milliarde Jahren unabhängig voneinander entwickelt haben.“
Das bedeutet: Die Aufteilung der Gene auf die Chromosomen ist trotz aller Mutationen und Rekombinationen über mehr als 600 Millionen Jahre lang stabil geblieben. „Wir haben sogar Relikte urzeitlicher Verbindungen gefunden, die schon bei den einzelligen Vorfahren der Tiere vorhanden waren“, berichten die Forschenden. So gibt es 16 solcher Genblöcke, die schon bei den Choanoflagellaten vorhanden waren. Sie existieren demnach schon seit mindestens 800 Millionen Jahren.
Geringe Wechselrate
Aus ihren Analysen schließen die Wissenschaftler, dass der Wechsel eines Gens von einem Chromosom zu einem anderen im Verlauf der Evolution nur sehr selten vorkommt – die Rate liegt bei einem Prozent alle 40 Millionen Jahre. Dabei scheint es drei verschiedene Mechanismen zu geben, durch die Gene ihr Chromosom und damit ihre Gruppe wechseln: Zum einen können ganze Chromosomenstücke an ihren Enden verschmelzen, wie es beispielsweise beim Austausch von Chromosomenarmen vorkommt.
Eine zweite Möglichkeit ist die Einfügung einer Gengruppe am Centromer, der Chromosomenmitte. Eine solche „zentrische Insertion“ war bislang nur von einigen Pflanzen bekannt, nicht aber aus dem Tierreich, wie das Team erklärt. Als dritte Variante scheint auch eine Verschmelzung von Chromosomen mit gleichzeitiger Durchmischung ihrer Genen möglich zu sein. „Dieser Prozess wurde zuvor noch nicht beschrieben“, so Simakov. Ihre Genvergleiche deuten aber daraufhin, dass es solche Mischprozesse gegeben haben muss.
„Aber wir stellen fest, dass es in jeder Stammeslinie des Tierreichs seit dem Kambrium jeweils nur eine Handvoll solcher Fusionen auf Chromosomenebene gegeben hat“, konstatieren die Forschenden.
Woher kommt die Stabilität?
Das wirft die Frage auf, warum diese Genaufteilung über eine so lange Zeit so stabil geblieben ist. Bisher können auch Simakov und sein Team darüber nur spekulieren. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Genregulation eine Rolle spielt, weil daran oft chromosomenweite Netzwerke aus DNA-Sequenzen beteiligt sind. „Diese sich überlappenden Interaktionen könnten theoretisch die syntenischen Einheiten stabilisieren“, so die Forschenden.
Ein zweiter, nach Ansicht der Wissenschaftler noch wahrscheinlicherer Faktor ist jedoch die Meiose – die Reifeteilung der Zellen. Dabei werden die Einzelstränge der Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt. Wenn nun Chromosomenteile verschmolzen sind oder durch Einfügungen ungleiche Genzahlen vorkommen, dann sind die resultierenden Zellen meist nicht lebensfähig – und damit verschwinden diese „Umsortierungen“ der Gene direkt wieder aus dem Genpool.
Ob dies wirklich der Grund für die verblüffende Stabilität der chromosomalen Genblöcke ist und welche Rolle die Mechanismen der Vermischung in der Evolution gespielt haben, ist jedoch offen. Hier muss nun weiter geforscht werden. (Science Advances, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abi5884)
Quelle: Universität Wien