Geowissen

Antarktis: Tiefes Grundwasser entdeckt

Erster Nachweis von Tiefenwasser im Sediment unter antarktischem Eis

Whillans-Eisstrom
Im Sediment unter dem Eis der Antarktis, hier der westantarktische Whillans-Eisstrom, gibt es tiefes Grundwasser, wie ein Forschungsteam nun erstmals nachgewiesen hat. © Kerry Key/ Lamont-Doherty Earth Observatory, Columbia University

Verborgenes Nass: Zwischen Eis und Felsuntergrund der Antarktis liegen hunderte Meter mächtige Sedimentschichten. Jetzt haben Forschende erstmals nachgewiesen, dass es darin tiefes Grundwasser gibt – und dass Schmelzwasser der Gletscher bis in große Tiefen sickern kann. Das verändert die bisherige Sicht auf die Hydrogeologie der Antarktis und auch auf die Faktoren, die den Gletscherfluss beeinflussen, wie das Team in „Science“ berichtet.

Die Antarktis ist von einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt, was sich darunter verbirgt, ist bislang nur in Teilen bekannt. So haben Schwerefeld- und Radarmessungen zwar gezeigt, wie die Erdkruste unter dem eisigen Kontinent beschaffen ist, welche Topologie der Felsuntergrund aufweist und wo sich Vulkane und gewaltige Schluchten verbergen. Sie enthüllten zudem, dass die Unterseite der Eismassen und das Eis selbst von unzähligen Kanälen, subglazialen Seen und Schmelzwasserströmen durchzogen ist.

Eisströme
Fließrichtung und Tempo von Eisströmen in der Westantarktis. © NASA/JPL-Caltech, University of California Irvine

„Weißer Fleck“ im Untergrund

Doch für einen Bereich der subglazialen Antarktis waren die bisherigen Messungen weitgehend blind: das tiefe Sediment, das zwischen Felsuntergrund und Gletscherunterseite liegt. Wie diese teilweise hunderte Meter mächtigen Schichten beschaffen sind, wie viel Wasser sie enthalten und wie tief beispielsweise Schmelzwasser in ihre Poren eindringen kann, blieb unbekannt. Gerade letzteres könnte jedoch für das Verhalten der Gletscher und ihre Fließgeschwindigkeit entscheidend sein.

„Es gibt schon länger die Vermutung, dass es tiefes Grundwasser in diesen Sedimenten geben könnte“, erklärt Erstautorin Chloe Gustafson von der Columbia University in New York. „Solche tiefen Grundwassersysteme könnten Wasser von der Eisbasis aufnehmen oder welches an diese abgeben und damit den Eisfluss beeinflussen.“ Denn wenn die Sedimente trocken und wenig durchlässig sind, sammelt sich mehr Wasser an der Gletscherbasis und wirkt dort wie ein Schmiermittel.

Magnetotellurische Durchleuchtung

Jetzt ist es Gustafson und ihrem Team erstmals gelungen, das tiefe Sediment unter einem antarktischen Eisstrom zu durchleuchten. Dafür ließen sie sich im Südsommer 2018 von einem Eisflugzeug auf dem Whillans-Eisstrom absetzen, einem 800 Meter mächtigen und knapp 100 Meter breiten Gletscher, der in das westantarktische Ross-Schelfeis mündet. Sechs Wochen lang führte das Forschungsteam an verschiedenen Stellen des Eisstroms Messungen durch.

Messung
Für die magnetotellurischen Messungen mussten die Instrumente an jedem Messpunkt eingegraben und später wieder herausgeholt werden. © Kerry Key/ Lamont-Doherty Earth Observatory, Columbia University

Für ihre Kartierung nutzten die Wissenschaftler eine Kombination aus seismischen Messungen und der sogenannten magnetotullurischen Bildgebung. Bei dieser messen Instrumente die natürlichen elektromagnetischen Felder im Untergrund und können so unter anderem die Leitfähigkeit des Materials bis in mehrere Kilometer Tiefe zeigen. Das wiederum gibt Aufschluss darüber, ob das Sediment beispielsweise Grundwasser enthält und wie salzig dieses ist.

Nass bis auf den Felsuntergrund

Die Messungen enthüllten: Das Sediment unter dem Whillans-Eisstrom ist bis zu 1,3 Kilometer dick und voller Wasser. „Das tiefe Grundwasser umfasst mindestes zehnmal so viel Wasser wie die flachen hydrologischen Systeme an der Eisbasis“, „, berichten Gustafson und ihr Team. „Wenn wir alles Wasser aus diesem Sediment extrahieren würden, würde dieses Wasser 220 bis 820 Meter hoch stehen.“

Dies ist der erste eindeutige Beleg dafür, dass es unter dem Eis der Antarktis auch tiefes Grundwasser gibt – und dass die subglazialen Sedimente bis in große Tiefen hinunter nass sind. „Die Bestätigung, dass es tiefes Grundwasser in der Antarktis gibt, transformiert unsere Sicht auch auf das Verhalten von Eisströmen und erfordert die Anpassung der subglazialen Wassermodelle“, schreiben die Forschenden. Denn bisher kommt dieses Wasser in ihnen nicht vor.

Unten fossiles Meerwasser, oben Schmelzwasser

Doch woher kommt das antarktische Grundwasser? Die Leitfähigkeitsmessungen ergaben, dass der Salzgehalt des Sedimentwassers mit zunehmender Tiefe ansteigt: Während in den oberen Bereichen Süßwasser vorherrscht, ist das Grundwasser in den Schichten direkt über dem Felsuntergrund so salzig wie Meerwasser. Das Team vermutet, dass dieses Salzwasser ein Relikt aus der Zeit vor rund 5.000 bis 7.000 Jahren ist, als der Eisstrom weiter im Inland lag und Meerwasser bis in dieses Gebiet vordringen konnte.

Das Süßwasser in den oberen Schichten ist hingegen jüngeren Ursprungs: Seine Präsenz spricht dafür, dass das Sediment durchlässig sind und Schmelzwasser von der Eisbasis aufgenommen hat. „Diese Infiltrierung von Schmelzwasser bis hunderte Meter ins Sediment hinein demonstriert, dass die tiefen und flachen subglazialen Wassersysteme physikalisch verbunden sind“, erklären Gustafson und ihre Kollegen. Das Grundwasser ist damit ein aktiver Teil des gesamten Systems.

Erst Bremser, dann Gleitmittel?

Die Entdeckung des Grundwassers in der Westantarktis hat eine weitreichende Bedeutung für das aktuelle und zukünftige Verhalten der antarktischen Gletscher, wie die Forschenden betonen. Denn im Moment scheint das Sediment große Mengen an Schmelzwasser von den Eisströmen aufzunehmen – es wirkt damit wie eine Drainage und trägt auch zur Ableitung von Wärme für die Gletscherbasis bei. Damit bremst es den Eisabfluss.

Doch wenn sich die Auflast des Eises verringert – beispielsweise durch das Abtauen der Gletscher – könnte sich dieser Effekt umkehren. Durch den verringerten Druck könnte dann vermehrt Tiefenwasser bis an die Eisbasis aufsteigen. „Dann würde das Grundwasser zu einer potenziellen Quelle von Wasser und Wärme, die das Abtauen der Eisbasis beschleunigen könnte“, schreibt das Team.

Mit diesem Wasser könnten zudem Mikroben und organische Substanzen an die Gletscherbasis und mit dem Schmelzwasser ins Meer gelangen, was den sensiblen Nährstoffkreislauf des Südpolarmeeres verändern würde. Mit dem vermehrten Grundwasser-Ausstrom gelangt dann auch über Jahrtausende gespeicherter Kohlenstoff in den Ozean – mit Potenzial für eine negative Klimawirkung. Entsprechend wichtig sei es nun, das antarktische Grundwasser weiter zu erforschen und die Erkenntnisse in die hydrodynamischen Modelle aufzunehmen, so das Team. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abm3301)

Quelle: Columbia University

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