Mechanismus aufgeklärt: Mediziner haben eine der Ursachen für die sehr selten auftretende Herzmuskelentzündung nach mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 identifiziert. Demnach stecken hinter dieser vor allem bei jungen Männern auftretenden Myokarditis spezielle Auto-Antikörper, die gegen ein zentrales, entzündungshemmendes Molekül gebildet werden. Bei den Betroffenen ist dieser Rezeptor-Antagonist durch eine Anlagerung leicht verändert und löst daher die Autoimmunreaktion aus.
Die mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 haben sich als effektives Mittel gegen schwere Verläufe von Covid-19 erweisen – und damit als wichtige Waffe gegen die Corona-Pandemie. Allerdings kann die Impfung vor allem bei jungen Männern in etwa einem bis zehn Fällen von 100.000 zu einer Herzmuskelentzündung führen. Anders als die deutlich häufiger auftretende Myokarditis nach Covid-19 oder anderen Virusinfektionen verläuft diese „Impf-Myokarditis“ aber meist mild.
Fahndung bei Myokarditis-Patienten
Doch was steckt dahinter? Ein Team um Lorenz Thurner vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg hat nun einen Mechanismus für die Entstehung dieser seltenen Impfnebenwirkung aufgedeckt. Für ihre Studie hatten sie 40 Patienten mit einer durch Biopsie bestätigten Myokarditis nach einer SARS-CoV-2-Impfung immunologisch untersucht und die Daten mit denen von 214 geimpften gesunden Vergleichspersonen sowie 125 Patienten mit einer Myokarditis anderer Ursachen verglichen.
Konkret suchten die Forschenden dabei nach einem speziellen Autoantikörper, der schon zuvor vermehrt bei Patienten mit schwerem Verlauf von Covid-19 und bei Kindern mit dem Multisystemischen Entzündungssyndrom (MIS-C) nachgewiesen worden war. Bei MIS-C, auch als PIMS – „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ – bekannt, handelt es sich um eine schwere, körperweite Entzündung, die einige Wochen nach der akuten Coronavirus-Infektion auftreten kann.
Autoantikörper gegen körpereigenen Entzündungshemer
Tatsächlich wurde das Team auch bei den Impflingen mit Myokarditis fündig: Bei 75 Prozent der jungen Patienten enthielt das Blut Autoantikörper gegen einen zentralen körpereigenen Entzündungshemmer namens Interleukin-1-Rezepetor-Antagonist (IL-Ra). Bei IL-Ra handelt es sich um ein Molekül, das die Andockstellen des Entzündungsbotenstoffs Interleukin-1 auf der Oberfläche der Zellen blockiert und so überschießende entzündliche Immunreaktionen stoppen kann.
„Gerade bezüglich Entzündungen an Herzbeutel, Herzmuskel sowie Gefäßen wissen wir bereits um die zentrale Bedeutung von Interleukin-1. Unser Immunsystem reguliert sich jedoch normalerweise selbst und gerade hochpotente Interleukine haben natürliche Gegenspieler“, erklärt Koautor Christoph Kessel vom Universitätsklinikum Münster. Schon bei schweren Verläufen von Covid-19 war aber aufgefallen, dass es Patienten gibt, bei denen einer dieser Gegenspieler, der Interleukin-1-Rezepetor-Antagonist, durch irrtümlich gebildete Antikörper ausgeschaltet wird.
Atypische Anlagerung verwirrt das Immunsystem
Auch bei den jungen Männern mit impfbedingter Myokarditis wurden diese Antikörper nun nachgewiesen. Doch warum treten sie bei ihnen auf? Auch das konnte das Team in seinen Analysen klären: „Bei den Patienten mit Myokarditis findet sich meist eine atypische Form von IL-Ra mit einer zusätzlichen Phosphorylierung“, berichtet Thurner. Das Molekül trägt bei ihnen eine zusätzliche Phosphorgruppe an einer Stelle seiner Proteinkette – ähnliches war auch schon bei Kindern mit MIS-C und Erwachsenen mit schwerem Covid-19-Verlauf nachgewiesen worden.
Das Problem daran: Dieser Anhang am IL-Ra-Molekül stört die Erkennungssysteme der Immunabwehr: „Das Immunsystem bewertet diesen dann als körperfremde Struktur und bildet fälschlicherweise Antikörper dagegen“, erklärt Thurner. „Durch diese wird dann der wichtige Entzündungshemmer neutralisiert und somit die Wirkung entzündungsfördernder Botenstoffe begünstigt.“
Schutz durch Impfung trotzdem wichtig
Warum nur einige Menschen vorübergehend Anlagerungen an ihren Interleukin-1-Rezepetor-Antagonisten ausbilden und so die Immunabwehr irritieren, ist allerdings noch unklar. Diese Frage muss nun noch erforscht werden. Dennoch wirft der Nachweis der Autoantikörper und der atypischen IL-Ra-Moleküle ein erstes Licht auf die Vorgänge, durch die eine Impfung bei manchen Menschen eine Myokarditis hervorrufen kann.
„Man muss in diesem Kontext jedoch klarstellen, dass Impfungen gegen SARS-CoV-2 unzählige schwere Krankheitsverläufe verhindert und sehr viele Leben gerettet haben“, betont Koautorin Karin Klingel vom Universitätsklinikum Tübingen. „Wir sind fest davon überzeugt, dass der Nutzen der mRNA-Impfungen mit dem daraus resultierenden Schutz gegen schwere SARS-CoV-2-Infektionen und schwere Komplikationen bei weitem das Risiko einer milden Myokarditis überwiegt.“ (New England Journal of Medicine, 2022; doi: 10.1056/NEJMc2205667)
Quelle: Universität des Saarlandes