Welche Auswirkungen hätte es, wenn jemand eine oder mehrere Interkontinental-Verbindungen Europas zerstören würde? Und wer sind die möglichen Täter für solche Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur? Schneiden sie sich nicht automatisch auch ins eigene Fleisch?
Kabelkappung mit nur begrenzten Auswirkungen
Anders als viele andere Regionen hätte der Ausfall nur eines Unterseekabels für Europa kaum Folgen: „Angesichts der hohen Zahl an Kabeln und der großen Redundanz wäre ein EU-weiter Internet-Blackout höchst unwahrscheinlich“, erklären Jonas Franken von der TU Darmstadt und seine Kollegen. Solange es für die Daten noch ausreichend schnelle alternative Routen gibt, wäre dies vermutlich für Nutzer kaum zu bemerken.
„Allerdings könnte ein koordinierter Angriff auf mehrere Kabel signifikante Störungen verursachen“, so Franken weiter. Denn dann werden die Ausweichrouten knapp und die verfügbare Bandbreite für die interkontinentalen Datenübertragungen sinkt. Denkbar wäre ein solches Szenario beispielsweise, wenn eine Landestation zerstört wird, an der gleich mehrere Unterseekabel enden. Dies ist vor allem bei den Stationen in Großbritannien der Fall, an denen gleich mehrere Transatlantikkabel einlaufen. Aber auch ein Angriff auf die Flaschenhälse im Roten Meer oder in der Straße von Gibraltar haben das Potenzial, gleich mehrere Kabelverbindungen zu kappen.
Ohne die Transatlantikkabel läuft bei uns nichts
Besonders schwerwiegende Auswirkungen hätte es für Europa, wenn die Transatlantikverbindungen unterbrochen werden würden. Das ist zwar aufgrund der großen Zahl der Unterseekabel ein fast unmögliches Szenario, wäre aber verheerend: „Wenn wir in Europa morgen unsere Kabelleitungen in die USA verlieren, dann würde hier das Internet ganz einfach zusammenbrechen“, beschrieb Jean-Luc Vuilemin vom französischen Telekommunikationsunternehmen Orange die Folgen jüngst im SWR. „Ungefähr 80 Prozent des Inhalts, den unsere Nutzer konsumieren, kommen aus den USA.“ Fast alle Programme, Plattformen und Websites der großen US-Tech-Konzerne benötigen trotz regionaler Rechenzentren in Europa auch die Verbindung in die USA.
Für deutlich wahrscheinlicher halten Experten jedoch einen gezielten Angriff auf die Unterseekabel, die wichtige militärische Außenposten der EU mit dem europäischen Festland verbinden. Demnach könnten Angriffe auf Unterseekabel beispielsweise durchgeführt werden, um die Marinebasen in Dschibouti oder Bahrain zu beeinträchtigen, die für aktuelle Marineoperationen im mittleren Osten wie beispielsweise in der Straße von Hormuz entscheidend sind. Aber auch andere Seekabel, die primär vom Militär genutzt werden, könnten Angriffsziele sein.
Ähnlich problematisch wäre es, wenn neben den Kabeln auch die Reparatur-Infrastruktur angegriffen wird. Denn in Europa sind nur vier für die Reparatur von Unterseekabeln ausgelegte Schiffe stationiert – zwei für das Mittelmeer und zwei für den Atlantik. Wenn sie ausfallen, könnte es Tage bis Wochen dauern, bis ein Kabelschaden behoben werden kann.
Gefahr durch Russland?
Doch wer könnte von einem solchen Angriff auf die kritische Kommunikations-Infrastruktur profitieren? Als größte Gefahr gelten Akteure feindlicher oder rivalisierender Länder. Nicht erst seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 steht dabei Russland als potenzieller Angreifer ganz oben. Schon 2015 und 2017 sorgte die Präsenz des russischen Schiffs Jantar vor der US-Küste für Spannungen, denn dieses Schiff verfügt über zwei Mini-U-Boote – und damit die Möglichkeit, Unterseekabel aufzuspüren und anzugreifen.
„Wir sehen russische Aktivitäten in der Nähe unserer Unterseekabel, wie wir sie nie zuvor beobachtet haben“, sagte NATO-Admiral Andrew Lennon im Jahr 2017. „Russland hat eindeutig gesteigertes Interesse an der unterseeischen Infrastruktur der NATO und seiner Mitgliedsstaaten.“ Auch in europäischen Gewässern sind in den letzten Jahren vermehrt russische Schiffe in Meeresgebieten mit Unterseekabeln gesichtet worden. 2021 führte ein Mini-U-Boot der Jantar vor der irischen Küste einen Tieftauchversuch durch – zufällig genau dort, wo die Transatlantikkabel AEConnect-1 und Norse entlanglaufen. 2022 führte Russland in diesem Gebiet erneut Marinemanöver durch.
„Russland hat sowohl die nötige Erfahrung als auch ein Interesse daran, unkonventionelle und hybride Methoden der Kriegsführung einzusetzen, darunter auch die Unterbrechung von Kommunikations-Netzwerken“, erklären Franken und seine Kollegen. Während der Annexion der Krim im Jahr 2014 kappte Russland die Hauptkabelverbindung der Krim zur Außenwelt, um so den Fluss von Informationen zu kontrollieren.
… und China?
Allerdings ist Russland nicht der einzige Verdächtige für solche Angriffe auf Unterseekabel. Auch wirtschaftliche Konkurrenten des Westens, allen voran China, könnten von einer Sabotage der digitalen Konnektivität profitieren. Dies gilt vor allem deshalb, weil China in weit geringerem Maße vom globalen Internet abhängig ist als Europa oder die USA. Das Land hat in den letzten Jahren nicht nur massiv in eigene Infrastruktur investiert, sondern auch viele digitale Funktionen und Plattformen aus politischen Gründen vom weltweiten Internet abkoppelt.
„Wenn China morgen früh alle Tiefseekabelleitungen, die das Land mit der Welt verbinden, verlieren würde, dann würde in China rein gar nichts passieren. Vielleicht kriegt ein Börsenhändler in Schanghai eine Herzattacke, weil er sich nicht mehr an der Londoner Börse einloggen kann. Aber für 99,9 Prozent der Chinesen würde sich rein gar nichts verändern“, erklärte Jean-Luc Vuilemin vom französischen Telekommunikationsanbieter Orange kürzlich in SWR2 Wissen.
Die von China ausgehende Gefahr für Unterseekabel und digitale Infrastruktur ist jedoch nach Ansicht der Experten weniger physisch, als vielmehr digital…