Rudimentäre Überbleibsel aus der Frühzeit haben häufig den Ruf, funktionslos und sogar schädlich für unseren Körper zu sein. So denken die meisten bei Weisheitszähnen vermutlich an den Zahnarztstuhl und kennen das Wort Blinddarm vor allem in Verbindung mit dem Anhängsel Entzündung. Doch gerade der Blinddarm kann mehr als man ihm auf den ersten Blick zutrauen mag.
Blinddarm: Besser als sein Ruf
Der menschliche Blinddarm ragt aus dem Dickdarm heraus und hat einen schmalen Anhang, den Wurmfortsatz. Dieser Appendix ist der eigentliche Störenfried bei einer Blinddarmentzündung. Der Name ist also eigentlich falsch, hält sich aber im Volksmund. Die Benennung der Krankheit ist allerdings nicht der einzige Fall, in dem der Wurmfortsatz eher stiefmütterlich behandelt wurde. Man hielt ihn nämlich lange zu Unrecht für ein weitgehend funktionsloses Rudiment.
Schon Charles Darwin attestierte dem Appendix Nutzlosigkeit und schlussfolgerte, dass er ein verkümmertes Überbleibsel eines frühen Primaten sein musste, der sich von Blättern ernährte und so die zähen Fasern verdaute. Dieser Glaube hielt sich lange, doch heute ist bekannt: Der Wurmfortsatz des Blinddarms ist ein Reservoir für nützliche Darmbakterien und unterstützt damit unsere Immunabwehr. Bei einer Magen-Darm-Infektion schwemmt unser Körper die Erreger mittels Diarrhö möglichst schnell aus, trifft damit allerdings auch die guten Darmbakterien.
Der Wurmfortsatz bietet den guten Mikroben dank seiner abgelegenen Lage einen sicheren Unterschlupf, von dem aus sie den Darm wieder besiedeln und weitere Infektionen verhindern können. Er ist damit zwar kein Rudiment, aber trotzdem nicht zwingend überlebensnotwendig. Das ist praktisch, da er tatsächlich gemäß seinem Ruf häufig zu Entzündungen neigt und entfernt werden muss. Bei mehr als einem von 20 Menschen entzündet er sich im Laufe des Lebens und führt unbehandelt bei 50 Prozent zum Tod.
Weisheitszähne: Extra Zähne, extra Gefahr
Auch die Weisheitszähne können uns schaden. Sie sind zwar die letzten Zähne, die in unseren Kiefer durchbrechen, aber häufig auch die ersten, die gezogen werden müssen. Das Extra-Set an Backenzähnen bricht bei den meisten zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr aus dem Zahnfleisch hervor. Da die anderen Zähne zu diesem Zeitpunkt schon ihren Platz eingenommen haben, bleibt für die Weisheitszähne häufig nicht genügend Raum. Sie brechen in der Folge manchmal nur teilweise oder schräg durch oder bleiben stecken und verursachen dadurch zahlreiche Probleme. Sie schädigen zum Beispiel andere Zähne, verursachen Karies oder andere Infektionen.
Weisheitszähne sind anders als der Blinddarm tatsächlich rudimentäre Organe. Sie sind ein Relikt aus Zeiten, in denen unsere Vorfahren größere Kiefer mit mehr Zähnen hatten. Da ihre Nahrung zäher und fester war als heute, brauchten sie die extra Zähne zum Kauen. Als frühe Menschen damit anfingen, ihre Nahrung zu kochen, wurde das Essen weicher und das Kauen einfacher. Große Kiefer waren nicht mehr nötig und verkleinerten sich deshalb im Laufe der Zeit. Die Weisheitszähne blieben.
Doch auch sie werden tatsächlich seltener. Bei 35 Prozent der Menschen fehlen sie mittlerweile komplett. Ob jemand Weisheitszähne hat oder nicht, ist regional sehr unterschiedlich. Während in Tasmanien praktisch niemand Weisheitszähne besitzt, kommen sie in 100 Prozent der indigenen mexikanischen Bevölkerung vor. Die Unterschiede hängen vermutlich mit verschiedenen Varianten des PAX9-Gens zusammen, das die Entwicklung des Gebisses reguliert.