Schon jetzt nehmen wir rund 500 Gramm Insektenteile pro Jahr zu uns – ohne dass wir es merken oder ahnen. Denn in vielen Lebensmitteln wie Brot, Kaffee, Müsli und selbst Schokolade sind kleine Reste von Vorratsschädlingen oder pflanzenfressenden Insekten enthalten. Zwar schreibt das Lebensmittelrecht hier klare Grenzwerte vor, ganz frei von solchen Insektenresten sind die Lebensmittel aber dennoch nicht.
Die Kakerlake in der Milch
Finden Sie diesen Gedanken eklig? Damit stehen Sie nicht allein. Denn die Vorstellung, Insekten zu essen, erfüllt viele Menschen hierzulande eher mit Abscheu. Würden Sie beispielsweise ein Glas Milch trinken, in das zuvor eine Kakerlake getaucht wurde? Vermutlich nicht, denn das ist schließlich unhygienisch und das Insekt könnte Krankheitserreger in unser Getränk bringen. Aber wenn die Küchenschabe zuvor keimfrei gemacht wurde? Viele Menschen ekeln sich selbst dann noch und würden diese Milch trotzdem nicht trinken.
Aber warum eigentlich? Schließlich schlürfen viele Menschen rohe Austern mit Genuss, essen verschiedenste Krebstiere und sogar Schnecken stehen mancherorts auf dem Speiseplan. Trotzdem erfüllt die Vorstellung, einen Mehlwurm oder eine Heuschrecke zu essen, viele Menschen hierzulande mit Ekel oder zumindest einem mulmigen Gefühl.
Eine mögliche Erklärung dafür wäre ein instinktiver Schutzmechanismus: Weil Fliegenmaden und andere Insekten früher oft in verdorbener Nahrung oder Verwestem vorkamen, könnten unsere Vorfahren den instinktiven Abscheu aus Schutz vor Krankheiten und Vergiftungen entwickelt haben. Dagegen spricht allerdings, dass Insekten anderswo auf der Welt ohne große Skrupel und mit Genuss verspeist werden.
„Vierflügeliges Geflügel“
Der Ekel vor dem Insektenessen scheint demnach eher kulturell als biologisch geprägt. Tatsächlich war der Verzehr von Insekten auch bei uns in Europa früher keineswegs tabu – im Gegenteil: Im antiken Griechenland und Rom standen gleich mehrere Arten regelmäßig auf dem Speiseplan. Der antike Dichter Aristophanes bezeichnete Heuschrecken als „vierflügeliges Geflügel“, Aristoteles empfahl vor allem die weiblichen Zikaden, weil sie nach der Befruchtung besonders schmackhaft seien. Laut Plinius waren auf Mehl und Wein gezüchtete Käferlarven beim römischen Adel eine beliebte Delikatesse.
Doch nach dem Untergang des Römischen Reichs geriet der Insektengenuss in Verruf. Der Verzehr der sechsbeinigen Krabbler galt zunehmend als unrein und „barbarisch“. Jahrhundertelang griffen die Menschen in Europa nur noch dann auf Insektennahrung zurück, wenn die schiere Not sie dazu trieb. Dieser Wandel vom Genuss zum Ekel prägt die Haltung vieler Europäer bis heute.
Klare Kennzeichnung vorgeschrieben
Kein Wunder daher, dass die Zulassung von Insekten als Lebensmittel gemischte Gefühle auslöst – um es vorsichtig zu formulieren. In Reaktion auf besorgte und teils empörte Reaktionen betonte die EU-Kommission Anfang 2023 auf Twitter: „Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen. Jeder und jede kann selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kauft oder nicht.“
Tatsächlich gibt es klare Vorschriften für die Kennzeichnung solcher Lebensmittel, die eindeutig auf den potenziell anstößigen Inhalt hinweisen: Jedes Lebensmittel, das Insekten enthält, muss auf der Verpackung den deutschen und lateinischen Namen der enthaltenen Insektenart angeben – beispielsweise „Mehlkäferlarven (Tenebrio molitor)“. Außerdem muss angegeben werden, in welcher Form das Insekt enthalten ist – als Pulver, Paste oder im Ganzen gefroren. Weil Insekten bei Menschen mit einer Allergie gegen Krebs- und Weichtiere oder Hausstaubmilben allergische Reaktionen auslösen können, muss zudem immer ein Allergiehinweis auf der Verpackung stehen.
Schmu lohnt sich nicht
Soweit die Vorschriften. Aber wie sieht es mit den Befürchtungen aus, Insektenmehl oder Proteinpaste aus den Krabbeltieren könnte heimlich in Nudeln, Kekse oder angeblich vegetarische Nahrungsmittel gemischt werden? Auch hier kann man Entwarnung geben: Bisher ist die Zucht von Insekten für den Verzehr noch relativ kostenintensiv, eine echte Massenproduktion gibt es noch nicht.
Deshalb ist beispielsweise Insektenmehl noch um ein Vielfaches teurer als normales Mehl aus Getreide – ein Kilogramm gemahlene Insekten kann mehr als 100 Euro kosten. Schon aus wirtschaftlichen Gründen lohnt es sich daher für Lebensmittelhersteller nicht, Heuschrecke und Co heimlich in ihre Produkte zu schmuggeln.