Genetik

Atlas menschlicher Gen-Mutationen

Bisher umfassendster Überblick über Genveränderungen im Laufe unseres Lebens

Mutation
Wo reichern wir im Laufe des Lebens besonders viele Mutationen an? Und welche Faktoren spielen dafür eine Rolle? © Libre de Droit/ iStock

Mutationen katalogisiert: Aus Gewebeproben von fast 1.000 Menschen haben Forschende einen umfassenden Atlas der Mutationen erstellt, die sich im Laufe unseres Lebens anhäufen. Die Ergebnisse geben Einblicke in Prozesse des Alterns und der Krankheitsentstehung, insbesondere in Bezug auf Krebs. Die Erkenntnisse könnten neue Wege der Diagnostik und Behandlung eröffnen – darunter auch die Möglichkeit, schädliche Mutationen rückgängig zu machen, wie das Team in „Science“ berichtet.

Jede unserer Zellen trägt unseren einzigartigen DNA-Bauplan in sich. Seit unserer Zeugung wird dieses Erbgut immer wieder kopiert und von Zellteilung zu Zellteilung weitergegeben. Durch Kopierfehler oder äußere Einflüsse können jedoch Mutationen in der DNA entstehen. Die meisten dieser Veränderungen werden von zellulären Reparaturmechanismen beseitigt oder die betroffenen Zellen sterben rasch ab. Doch hin und wieder bleiben solche Fehler bestehen und werden fortan an Tochterzellen weitergegeben.

Ursache altersbezogener Krankheiten

„Die Anhäufung von DNA-Schäden gilt als eine der Hauptursachen von altersbezogenen Krankheiten“, erklären Nicole Rockweiler von der Washington University und ihr Team. „In der Onkologie hat sich gezeigt, dass es möglich ist, solche Mutationen zu entdecken, Jahre bevor die schädlichen Auswirkungen klinisch sichtbar werden, und so frühzeitig mit der Behandlung zu beginnen.“

Bei den meisten Erkrankungen außer Krebs ist bislang jedoch unklar, inwieweit ein direkter kausaler Zusammenhang zu sogenannten postzygotischen Mutationen besteht, also Mutationen, die sich im Laufe unseres Lebens angesammelt haben. Weitere Einblicke könnten aber auch hier den Weg zu Früherkennungsmaßnahmen bahnen. In früheren Studien wurden postzygotische Mutationen meist nur für einzelne, leicht zugängliche Gewebetypen wie Blut und Haut untersucht.

54 Gewebetypen von 948 Menschen

Rockweiler und ihr Team haben nun den bislang umfassendsten Atlas von DNA-Mutationen in menschlichen Geweben erstellt. Dazu untersuchten sie Gewebeproben von 948 Menschen, die ihren Körper nach ihrem Tod der Forschung gespendet hatten. Die Analysen umfassen 54 Gewebe- und Zelltypen und katalogisieren, welche Mutationen in den jeweiligen Zellen im Laufe des Lebens vorkommen.

Das Ergebnis: „Wir haben herausgefunden, dass einige Gewebe, wie die Speiseröhre und die Leber, viele Mutationen aufweisen, während andere Gewebe, wie das Gehirn, weniger Mutationen entwickeln“, so Rockweiler. „Das ist naheliegend, weil Speiseröhre und Leber vielen Umweltgiften ausgesetzt sind, die Fehler bei der Weitergabe von Erbinformationen fördern können. Das Gehirn dagegen besteht hauptsächlich aus Zellen, die sich nicht replizieren, sodass Mutationen hier unwahrscheinlicher sind.“

Auch in den stark durch UV-Strahlung und andere Umwelteinflüsse belasteten Hautzellen fand das Team vermehrt Mutationen. „Unerwartet war dabei, dass Männer in allen drei untersuchten Hauttypen geringere Mutationsraten aufwiesen als Frauen“, berichten die Forschenden.

Angehäufte Fehler

Zusätzlich rekonstruierte das Forschungsteam, zu welchem Zeitpunkt im Leben des jeweiligen Individuums welche Mutationen aufgetreten sind. Demnach sammelte sich der größte Teil der Mutationen mit zunehmendem Alter an – teils durch Umwelteinflüsse, teils durch ungünstige Zufälle. Rund die Hälfte der Variationen ließen sich durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gewebetyp und Abstammung erklären. So wiesen beispielsweise europäische Amerikaner mehr sonnenbedingte Mutationen in der Haut auf als afrikanische und asiatische Amerikaner.

Zusätzlich zu diesen im Laufe des Lebens erworbenen Mutationen, die jeweils einzelne Gewebetypen betrafen, fanden Rockweiler und ihr Team zahlreiche Mutationen, die in mehreren Gewebetypen auftraten. Das Forschungsteam geht davon aus, dass diese Mutationen während der Entwicklung im Mutterleib entstanden, noch bevor sich die betroffenen Gewebetypen auseinanderentwickelten.

„Wenn man die Mutationen betrachtet, die sich in einem so wichtigen Teil unseres Lebens ereignen, ist es erstaunlich, dass wir am Ende unserer Entwicklung ziemlich gut dastehen können“, so Rockweiler.

Schädliche Mutationen rückgängig machen?

Welchen Einfluss die verschiedenen Mutationen auf die individuelle Gesundheit haben, hängt dem Autorenteam zufolge stark von dem jeweiligen Gewebe, der Mutation und individuellen Merkmalen ab. „Um die Konsequenzen genetischer Varianten vollständig zu verstehen, ist es wichtig, Methoden für die Interpretation der Effekte auf den Körper im Lebensverlauf zu entwickeln“, so das Team.

Ein besseres Verständnis der Mechanismen könnte auch dabei helfen, in Zukunft neue Therapien zu entwickeln. „Wenn es um genetische Veränderungen als Grundlage von Krankheiten geht, gibt es heute eine Vielzahl von Technologien, die es uns ermöglichen, Änderungen am Genom vorzunehmen“, sagte Rockweilers Kollege Donald Conrad. „Es könnte möglich sein, die Mutationen, die wir durch Pech oder schlechte Angewohnheiten erworben haben, zu ändern und sie wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen.“ (Science, 2023, doi: 10.1126/science.abn7113)

Quelle: Oregon Health & Science University

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