Technik

Haben Maschinenhirne Gefühle?

Soziale Intelligenz, Bewusstsein und Kreativität

Wir Menschen sind kreativ, können abstrakt denken und über das bloß Faktische hinausreichende Konzepte entwickeln. Zudem verfügen wir über ein Bewusstsein: Wir haben eine Persönlichkeit, können über unsere Handlungen, Gefühle und Denkweisen reflektieren und auch über die unserer Mitmenschen – Psychologen bezeichnen diese Fähigkeit zur Perspektivübernahme als „Theory of Mind“. Und nicht zuletzt sind wir Menschen zu Emotionen und Empathie fähig.

Doch wie sieht in dieser Hinsicht bei den künstlichen Intelligenzen aus? Immerhin erfordern all diese Aspekte menschlicher Intelligenz mehr als nur eine bloße Rekombination bereits existierenden Wissens – so die gängige Annahme.

GPT-4 erklärt sich
GPT-4 erklärt seine (falsche) Antwort und reagiert auf eine Korrektur. © Bubeck et al./ arXiv 2303.12712, CC-by 4.0

Das eigene Verhalten erklären

Doch auch hier scheint die künstliche Intelligenz große Fortschritte zu machen, wie der KI-Forscher Sebastien Bubeck und seine Kollegen bei ihren Tests mit dem KI-System GPT-4 feststellten. Eine Frage war dabei, ob die künstliche Intelligenz erklären kann, warum sie bestimmte Antworten gegeben hat und ob diese Herleitung sinnhaft erscheint. „Die Fähigkeit, sein eigenes Verhalten zu erklären, ist ein wichtiger Aspekt der Intelligenz“, erklärt das Team von Microsoft Research. Denn dies erfordere Selbsterkenntnis und das Eingehen auf andere.

Tatsächlich lieferte GPT-4 größtenteils einleuchtende und nachvollziehbare Erklärungen – sowohl für korrekte wie für falsche Antworten. Als die Forscher das KI-System beispielsweise baten, eine bestimmte Melodiefolge zu optimieren, lieferte GPT-4 eine entsprechende Änderung und begründete dies mit einem harmonischeren Übergang in eine neue Tonart an dieser Stelle.

In einem anderen Beispiel erklärte GPT-4, warum er bei der portugiesischen Übersetzung des englischen Satzes „The doctor is here“ die männliche Form „Medeco“ verwendete: „Ich habe die männliche Form gewählt, weil der englische Satz das Geschlecht nicht spezifiziert. Im Portugiesischen haben Nomen ein grammatikalisches Geschlecht und die Standardform ist gewöhnlich die maskuline“, so die KI. „GPT4 zeigt damit bemerkenswerte Fähigkeiten bei der Erzeugung Output-konsistenter Erklärungen, also Erklärungen, die angesichts des Inputs und des Kontextes konsistent sind“, berichtet das Forscherteam.

Hat künstliche Intelligenz eine Theory of Mind?

Wie aber sieht es mit der sozialen Intelligenz der KI aus? Beherrscht GPT-4 die als „Theory of Mind“ bezeichnete Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen? Immerhin entwickeln menschliche Kinder diese Fähigkeit zur Perspektivübernahme erst im Alter zwischen drei und vier Jahren. Um die KI darauf zu testen, gaben Bubeck und sein Team GPT-4 jeweils eine kurze Beschreibung einer Situation oder einen kurzen Dialog, die einen sozialen oder emotionalen Konflikt zwischen zwei Menschen nahelegten.

GPT-4 erklärt menschliches Verhalten
GPT-4 interpretiert die Emotionen und Motivationen eines Menschen, der ein fiktives Etwas (ZURFIN) verloren hat. © Bubeck et al./ arXiv 2303.12712, CC-by 4.0

Dann baten sie GPT-4, zu beschreiben, worin der Konflikt besteht und was die beteiligten Personen fühlen und denken. „Diese realistischen Szenarien erfordern für ihr Verständnis eine weit fortgeschrittene Theory of Mind“, schreiben die Wissenschaftler. Zusätzlich baten sie das Sprachmodell um Vorschläge, wie die beteiligten Personen den Konflikt lösen könnten. „Dafür muss man Rückschlüsse über die möglichen Konsequenzen der jeweiligen Handlungen ziehen können“, so das Team.

Auch in diesen Tests schlug sich die künstliche Intelligenz erstaunlich gut: Sie bewältigte 90 Prozent der Aufgaben erfolgreich. „GPT-4 kann schlussfolgern, in welchem mentalen Zustand die Charaktere sind und auch erkennen, wo Fehlkommunikation und Missverständnisse liegen“, berichten die Forscher. Ihrer Ansicht nach deutet dies darauf hin, dass GPT-4 ein fortgeschrittenes Niveau der Theory of Mind zeigt. Auch andere Forschungsteams haben GPT-4 Aufgaben aus dem Bereich der Perspektivübernahme gestellt und kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Allerdings: Wie bei vielen anderen Fähigkeiten lassen sich viele Antworten des KI-Systems durch ihre Trainingsdaten erklären. Da in ihnen unzählige Romane und andere Texte enthalten sind, in denen menschliche Konflikte und typisch menschliches Verhalten beschrieben werden, kann GPT-4 aus diesem Fundus schöpfen, um die wahrscheinlichsten sozialen und emotionalen Reaktionen zu beschreiben. Kritiker sehen deshalb in solchen Testergebnissen noch keinen Beweis für ein echtes Verständnis des menschlichen Verhaltens.

Wie kreativ ist die künstliche Intelligenz?

Bleibt noch die Frage nach der Kreativität der Maschinenhirne: Können generative KI-Systeme wie ChatGPT, Dall-E, Stable Diffusion und Co etwas fundamental Neues und Innovatives erschaffen? Auf den ersten Blick legen die Texte und Bilder dieser Modelle dies nahe. Doch ist das schon Kreativität? Ein Mensch gilt dann als kreativ, wenn er entweder durch Assoziation bekannten Wissens etwas ganz Neues entwickelt oder wenn er „Out oft he Box“ denken kann. Bei dieser divergenten Kreativität entstehen Innovationen jenseits von bekannten Assoziationen, Denk- und Sichtweisen.

kreative KI
Kann KI mehr als nur Bestehendes neu zusammenstellen und imitieren? © R_type/ Getty images

Wie sieht es damit bei den künstlichen Intelligenzen aus? Die US-Forscherin Yennie Jun hat dies für GPT-4 und seine Vorgängermodelle anhand von drei gängigen Kreativitätstests untersucht. Zwei davon testen die divergente Kreativität, indem Testpersonen möglichst viele ungewöhnliche Einsatzmöglichkeiten für Gegenstände finden müssen oder viele Wörter auflisten, die möglichst wenig miteinander zu tun haben. Im Assoziationstest soll dagegen das Verbindende zwischen drei Wörtern gefunden werden – hier geht es um die konvergente Kreativität.

Das Ergebnis: Im Assoziationstest schnitt GPT-4 ähnlich gut ab wie eine durchschnittliche menschliche Testperson. Beim divergenten Denken lag das KI-System im Alternative-Nutzungen-Test etwa gleichauf mit den meisten Menschen, beim Wortfindungstest sogar deutlich darüber. Allerdings: Ähnlich wie bei der Theory of Mind ist auch hier nicht auszuschließen, dass solche Kreativitätstests und ihre Lösungen schon in den Trainingsdaten der KI enthalten waren. Ob die künstliche Intelligenz demnach über echte Kreativität im menschlichen Sinne verfügt oder nicht, bleibt strittig.

Nur eine Frage der Zeit?

„Menschliche Intelligenz hat mehrere Aspekte, darunter Kreativität, emotionale Intelligenz und Intuition, die aktuelle KI-Modelle zwar imitieren, aber nicht wirklich beherrschen“, sagt die auf Deep-Learning spezialisierte KI-Forscherin Dana Rezazadegan von der Swinburne University of Technology. Sie hält es aber für durchaus möglich, dass größere KI-Systeme sich auch in diesen Bereichen weiterentwickeln und einer allgemeinen Intelligenz nahekommen. Dies gelte vor allem dann, wenn generative KI-Modelle eines Tages auf Quantencomputern laufen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Digitale Superintelligenz
Kommt die Artificial General Intelligence? Und wie gefährlich ist sie?

Maschinelle Superhirne
Zwischen Science-Fiction und Realität

Eine Frage der Definition
Was umfasst Intelligenz und wie weit ist die KI?

Haben Maschinenhirne Gefühle?
Soziale Intelligenz, Bewusstsein und Kreativität

Emergenz
Wenn KI unberechenbar wird

P(doom)
Ist künstliche Intelligenz eine existenzielle Bedrohung?

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