Kognitionsforschung

Können wir im Schlaf zuhören?

Neue Hinweise auf Bewusstsein und Interaktion während des Schlafens

Mann macht ein Nickerchen auf einem Sofa
Die Studie zeigt, dass bewusste Interaktionen während des Tagschlafs zumindest phasenweise möglich sind. Ob das auch für den nächtlichen Schlaf gilt, müssen weitere Untersuchungen zeigen. © ljubaphoto / Getty Images

Kommunizieren im Schlaf: Die Grenze zwischen Wachsein und Schlafen ist offenbar durchlässiger als lange angenommen. Selbst schlafende Personen können verstehen, was man zu ihnen sagt, und darauf im Schlaf mit einem Lächeln oder Stirnrunzeln reagieren, wie eine neue Studie belegt. Diese Fähigkeit beobachteten die Forschenden in allen Schlafphasen, nicht nur im REM-Schlaf und bei Klarträumen, allerdings jeweils nur zeitweise. Die Studie stellt die Definition von Schlaf und Wachheit auf den Prüfstand und liefert eine neue Methode, um Schlafprozesse detaillierter zu erforschen.

Schlaf gilt als die Zeit, in der Körper und Geist ruhen. Wir scheinen dann blind und taub für die Außenwelt zu sein. Dennoch sind Schlafen und Träumen hochkomplexe Vorgänge, bei denen viele Interaktionen möglich sind, wie frühere Forschungen ergeben haben. „Wachheit und Schlaf sind keine stabilen Zustände, sondern ein Mosaik aus bewussten und scheinbar unbewussten Momenten“, erklärt Lionel Naccache vom Pariser Universitätsklinikum Pitié-Salpêtrière.

Welche Gehirnmechanismen diesen Zuständen und Interaktionen zwischen Wachheit und Schlaf zugrunde liegen, ist bislang nur ansatzweise verstanden. Forschende versuchen jedoch, sie genauer zu entschlüsseln, um unter anderem Schlafstörungen besser zu verstehen und behandeln zu können. „Denn wenn sie fehlreguliert sind, können sie mit Störungen wie Schlafwandeln, Schlafparalyse, Halluzinationen, dem Gefühl, die ganze Nacht nicht oder mit offenen Augen zu schlafen, einhergehen”, sagt Naccaches Kollegin Isabelle Arnulf.

Neue Methoden zur Erforschung des Schlafs gesucht

Um zwischen Wachheit und den verschiedenen Schlafstadien zu unterscheiden, nutzen Forschende meist physiologische Indikatoren wie bestimmte Gehirnwellen, die durch Elektroenzephalographie (EEG) messbar sind. Die Gehirnwellen spiegeln aber nicht immer wieder, was in den Köpfen der Schlafenden vor sich geht. Manchmal widersprechen sie sogar deren Wahrnehmung und Aussagen. Neurowissenschaftler suchen daher seit Längerem nach feineren physiologischen Messmethoden, um Schlaf-Wach-Unterschiede zu bestimmen.

Ein Forschungsteam um Başak Türker von der Universität Sorbonne hat eine solche Methode entwickelt. In einer früheren Studie zeigte diese bereits, dass Schlafende im sogenannten REM-Schlaf, in dem sich die Augen bewegen und Klarträume auftreten, mit wachen Personen kommunizieren können. In ihrer aktuellen Studie wollten Türker und ihre Kollegen nun herausfinden, ob sich diese Ergebnisse auch auf andere Schlafphasen übertragen lassen und auf Personen, die keine Klarträume erleben.

Zuhören und lächeln

Die Forschenden untersuchten dafür 21 Menschen ohne Schlafstörungen und 27 Patienten mit Narkolepsie, die tagsüber unter schweren Müdigkeitsphasen leiden. Narkoleptiker träumen oft ungewöhnlich klar und sind sich währenddessen bewusst, dass sie schlafen. Manche können den Verlauf ihrer Träume sogar bewusst verändern. Allerdings fallen sie auch tagsüber außergewöhnlich leicht und schnell in den REM-Schlaf. Wegen dieser Fähigkeit wählte das Team Narkoleptiker als Probanden, um das Bewusstsein von Schlafenden zu erforschen.

Für das Experiment machten die Testpersonen tagsüber Nickerchen; die Narkoleptiker fünf Stück à 20 Minuten, die anderen Probanden schliefen einmal 100 Minuten durch. Die Forschenden maßen dabei ihre Gehirn- und Herzaktivität (EEG und EKG) sowie Augen- und Gesichtsmuskelbewegungen (EOG und EMG). Währenddessen sollten die Probanden auf Wörter reagieren, die ihnen eine menschliche Stimme vorlas. Bei realen Wörtern wie Pizza sollten sie dreimal die Stirn runzeln, bei ausgedachten Wörtern wie Dizta dreimal lächeln.

Nach dem Aufwachen berichteten die Teilnehmenden, ob sie während des Tests einen Klartraum hatten und ob sie sich an Wörter erinnerten. Diese Angaben verglichen die Wissenschaftler mit den Messwerten.

Schlafende reagieren auf Wörter

Das überraschende Ergebnis: In dem Test reagierten die meisten schlafenden Probanden tatsächlich mit Lächeln oder Stirnrunzeln auf die vorgelesenen Wörter, ohne dabei aufzuwachen. Im Schnitt reagierten sie zu 71 Prozent richtig, was Zufälle ausschließt, berichten die Forschenden. Interessanterweise schnitten die gesunden Personen in dem Wörtertest besser ab, allerdings erinnerten sich nur die Narkolepsie-Patienten daran, ihn durchgeführt zu haben.

Demnach sind wir beim Schlafen offenbar weniger von der Außenwelt abgeschottet als bisher angenommen. Wir können nicht nur Geräusche hören, sondern sie auch verarbeiten und ihren Sinn erfassen, wie das Experiment nahelegt. „Diese Ereignisse traten häufiger während Klartraumepisoden und in weniger tiefen Schlafphasen auf, die durch ein hohes Bewusstseinsniveau gekennzeichnet waren. Dennoch beobachteten wir sie in beiden Gruppen zeitweise in allen Schlafphasen“, ergänzt Seniorautorin Arnulf.

Bewusste Schlafphasen sind vorhersehbar

Der Vergleich der physiologischen Daten mit den Berichten der Testpersonen ergab zudem, dass sich vor einer Phase, in der die Interaktion gelang, die Gehirnaktivität der Probanden beschleunigte und sich weitere physiologische Werte veränderten, die mit einer intensiven kognitiven Aktivität verbunden sind. Dadurch konnten die Forschenden den Moment vorhersagen, in dem sich das Bewusstseinsfenster der Schlafenden öffnete und sie auf Reize in ihrer Umgebung reagieren konnten.

„Bei Menschen, die während ihres Nickerchens einen Klartraum hatten, war die Fähigkeit, auf Worte zu reagieren und über diese Erfahrung beim Aufwachen zu berichten, durch eine spezifische elektrophysiologische Signatur gekennzeichnet“, berichtet Koautor Naccache. Das deute darauf hin, dass luzide Träumer einen besseren Zugang zu ihrer inneren Welt haben und sich dieses erhöhte Bewusstsein auf die Außenwelt erstreckt, schließen die Forschenden.

Können mit der Methode Schlafstörungen behandelt werden?

Die Studie liefert Hinweise auf die Vorgänge im Gehirn während des Tagschlafs. Sie zeigt, dass bewusste Interaktionen auch beim Schlafen zumindest phasenweise möglich sind. Ob solche Interaktionsfenster aber auch beim nächtlichen Schlaf auftreten und ob ihre Häufigkeit mit der Qualität des Schlafs zusammenhängt, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Die Wissenschaftler wollen dadurch auch herausfinden, ob durch die gezielte Interaktion im Schlaf bestimmte Schlafstörungen behandelt oder das Lernen erleichtert werden könnten.

Die Daten zeigen aber bereits jetzt, dass Schlaf ein aktiver Zustand ist, in dem wir die Welt bewusst wahrnehmen und auf sie physisch reagieren können. Das gilt für alle Schlafphasen, nicht nur für die Einschlafphase oder den REM-Schlaf, wie auch frühere Experimente zum Lernen im Schlaf nahelegen. Das deutet darauf hin, dass wir Schlaf bewusster wahrnehmen als wir es uns vorgestellt haben, sagen die Forschenden. Die Studie könnte damit dazu beitragen, die gängige Definition von Schlaf zu überarbeiten. (Nature Neuroscience, 2023, doi: 10.1038/s41593-023-01449-7)

Quelle: Institut du Cerveau (Paris Brain Institute), Universität Sorbonne

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