Es ist paradox: Gerade weil Edmond Halley durch seinen Kometen und die astronomischen Entdeckungen so berühmt wurde, ist das wahre Ausmaß seiner wissenschaftlichen Leistungen und Verdienste fast vergessen. Denn der 1656 in England geborene Forscher war weit mehr als nur Astronom – er war eines der Universalgenies der Wissenschaft.
Ein echter Allrounder
„Seine Zahl an Veröffentlichungen war phänomenal, seine unveröffentlichten Werke umfangreich und die Breite seiner Interessen selbst für das 17. Jahrhundert außergewöhnlich“, beschrieb schon 1946 der britische Hofastronom Harold Spencer Jones die vielfältigen Interessengebiete und Leistungen von Edmond Halley. „Er war gleichzeitig Mathematiker, Astronom, Physiker sowie Statistiker, Geograf, Hydrograf und Geomagnetiker, aber auch Navigator, Seemann und der erste Forschungsreisende.“ Das Ungewöhnliche daran: Halley hat in gleich mehreren dieser Fachgebiete bahnbrechende und bis heute wesentliche Beiträge geleistet.
Dies bringt ihm nicht nur die Stellung als Hofastronom der englischen Krone und als Sekretär der Royal Society ein – sein Ruf dringt sogar bis ins ferne Russland: Als der russische Zar Peter der Große im Jahr 1698 England besucht, trifft er sich mehrfach mit Halley und sucht dessen Rat darüber, wie er die Wissenschaften im russischen Reich fördern und voranbringen könnte. Wenig später – möglicherweise als Folge dieser Gespräche – gründet Peter der Große die russische Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg.
Geburtshelfer der modernen Naturwissenschaften
Darüber hinaus ist Edmond Halley auch eine Art „Geburtshelfer“ der modernen Naturwissenschaft. Der Sohn eines englischen Seifenfabrikanten wird in eine Zeit des tiefgreifenden Umbruchs wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens hineingeboren: Noch zur Zeit seiner Geburt betrachten viele die Naturwissenschaften als eine bloße Variante der Philosophie und klassischen Gelehrsamkeit – Ideen, Theorien und Modelle spielen eine entscheidende Rolle. Nur selten fußen diese Vorstellungen jedoch auf systematischen Messungen oder Experimenten.
„Selbst auf der Höhe der naturwissenschaftlichen Revolution standen die brillantesten Männer mit einem Fuß im Mittelalter. Sie hatten Schwierigkeiten mit Konzepten, die wir heute als elementar ansehen“, beschreibt der Wissenschaftshistoriker David Deming von der University of Oklahoma die Lage zu Halleys Zeit. Noch in der zweiten Hälfte der Renaissance halten einige Gelehrte an überlieferten Erkenntnissen und Traditionen fest, die empirische Überprüfung ist noch kein Standard.
Newtons „Principia“ als Fundament
Ihren Abschluss findet die Revolution der wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen erst im Jahr 1689 mit der Veröffentlichung eines entscheidenden Werks von Isaac Newton: der „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“, kurz „Principia“. In diesem dreibändigen und gut 600-seitigen Buch legt der britische Gelehrte seine Erkenntnisse und sein Wissen zu Mathematik, Mechanik und Astronomie dar.
„Dieses Werk war der endgültige Durchbruch zum modernen Zeitalter. Auf einen Streich und im Alleingang wandelte Isaac Newton die Physik von einer mit Spekulationen, logischen Diskursen und Schlüssen geprägten Naturphilosophie in eine exakte, auf Empirie beruhende mathematische Wissenschaft um“, erklärt Deming.
Halley und Newton
Doch ohne Edmond Halley wäre die „Principia“ nie geschrieben und veröffentlicht worden. Ursprünglich sucht dieser bei Newton Rat zu einem der damals größten Probleme der Astronomie – der Berechnung und physikalischen Erklärung der Planetenbahnen. Als Halley im Gespräch mit dem Physiker erfährt, dass dieser das Problem längst mathematisch gelöst, aber nie publiziert hat, drängt er Newton dazu, seine Lösung dieses und weiterer physikalisch-mathematischer Fragen zu veröffentlichen. „Halley besaß die Genialität, das noch größere mathematische Genie von Isaac Newton zu erkennen und drängte ihn dazu, die Principia Mathematica zu schreiben“, heißt es in einer Biografie.
Es folgt eine 18 Monate dauernde Zeit, in der Newton nach und nach seine umfangreichen Erkenntnisse zu Papier bringt. Halley organisiert währenddessen die Unterstützung der Royal Society für die spätere Veröffentlichung, redigiert Newtons Texte und drängt den Physiker immer wieder zum Weitermachen. Doch als dann das epochale Werk endlich fertig ist, fehlt der Royal Society das Geld für die Druckkosten. In dieser Notlage springt Halley ein, der selbst nur knapp die nötigen Mittel aufbringt. Doch seine Investition sollte sich lohnen: Die „Principia“ wird ein Bestseller – und der Rest ist Geschichte…