Fast ebenso intensiv wie für die Astronomie interessiert sich Edmond Halley für irdische Zusammenhänge. Eine Frage beschäftigt ihn dabei besonders: das Geheimnis des irdischen Wassers. Wie kommt es, dass die Ozeane niemals überlaufen, obwohl ständig neues Süßwasser aus den Flüssen nachströmt? Und woher kommt das Wasser, das als Regen vom Himmel fällt?
Wie viel Wasser verdunstet vom Meer?
Schon länger vermuten die Wissenschaftler seiner Zeit, dass die Verdunstung von Wasser aus den Ozeanen als Lieferant für den Regen dient. Aber wie viel Wasserdampf dadurch entsteht und ob dieser ausreicht, um beispielsweise auch Quellen, Flüsse und Seen aufzufüllen, ist strittig. Wie es Halleys Art ist, geht er diesen Fragen ganz praktisch nach: Er führt ein Experiment durch. In diesem repräsentiert eine flache Pfanne mit einer zuvor genau abgewogenen Wassermenge den Ozean.
„Wir brachten das Wasser dann auf dieselbe Wärme, wie sie auch die Luft an unseren heißesten Sommertagen hat“, beschreibt er den Versuchsaufbau im Jahr 1687 in einer Publikation. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit wiegt Halley die Wassermenge in der Pfanne erneut. Dabei stellt er fest, dass das Wasser „im Laufe von zwei Stunden ein 60stel eines Inchs von seiner gesamten Oberfläche verliert.“
Mithilfe dieser Messungen stellt Halley eine Formel auf, mit der er die Verdunstungsmenge über dem sommerlichen Ozean abschätzen kann. Dabei berücksichtigt er auch Faktoren wie den Wind, die diese Verdunstung beschleunigen können. In seiner Hochrechnung kommt Halley zu dem Ergebnis: Das gesamte Mittelmeer verdunstet an einem einzigen Sommertag die enorme Menge von 5.280 Millionen Tonnen Wasser.
Wie viel fließt über die Flüsse hinein?
Im nächsten Schritt versucht Halley zu ermitteln, wie viel Wasser das Mittelmeer aus dem Zustrom der Flüsse erhält. Dies im Detail zu messen, ist nahezu unmöglich, so viel ist ihm klar. Also nutzt der Forscher auch hier die Methode der Extrapolation: Er misst die Strömung an einer Themsebrücke und kombiniert dies mit Tiefe und Breite des Flussbeckens, um die Durchflussmenge abzuschätzen. Halley kommt auf rund 19 Millionen Kubikmeter pro Tag – der heute gemessenen Durchschnittswert liegt bei etwa einem Drittel davon.
Um nun daraus auf den Einstrom von Flusswasser ins Mittelmeer zu schließen, geht Halley von neun großen Flüssen mit jeweils dem zehnfachen Einstrom der Themse aus. Der Grund dafür: „Zwar ist keiner dieser Flüsse in Wirklichkeit so groß, aber so erfasse ich damit auch all die kleinen Rinnsale, die ins Meer fließen und die ich sonst nicht berücksichtigen kann“, erklärt Halley in seiner Publikation von 1687.
Halley kommt aufgrund dieser Kalkulation zu dem Ergebnis, dass die Flüsse nur rund ein Drittel der Wassermenge ins Mittelmeer eintragen, die zur selben Zeit durch Verdunstung verloren geht. Dies liefert ihm auch die Erklärung dafür, warum an der Meerenge von Gibraltar das Wasser immer nur vom Atlantik ins Mittelmeer strömt, nicht umgekehrt: Der Atlantik-Einstrom gleicht das Defizit aus, so die Schlussfolgerung des Forschers.
Die Basis des Wasserkreislaufs
„Auch wenn Halleys Schätzungen und Methoden nach modernen Standards noch sehr grob waren, war seine Herangehensweise bereits quantitativ und experimentell – und stand damit im Kontrast zu den oft ungehemmten theoretischen Spekulationen, die die Naturphilosophie der vorangegangenen Jahrhunderte kennzeichnete“, schreibt der Wissenschaftschaftshistoriker David Deming von der University of Oklahoma.
Im Jahr 1691 beschäftigt sich Halley mit der Frage, was mit dem vom Meer aufsteigenden Wasserdampf geschieht. Auf Basis seiner Beobachtungen schließt er, dass der Wasserdampf durch Winde ins Innere der Kontiente getrieben wird. „Dort wird er von den Luftströmen gezwungen, mit diesen zu den Gipfeln der Berge aufzusteigen, wo das Wasser dann abregnet“, schreibt Halley. Die Luft in der Höhe sei so kalt und dünn, dass sie nur noch einen kleinen Teil des Wasserdampfs halten könne. Von den Bergen strömt das abgeregnete Wasser dann über Bäche und Flüsse wieder ins Meer – der Kreislauf schließt sich.
Damit hat Edmond Halley die Basis für unser modernes Verständnis des Wasserkreislaufs und der Wasserbilanzen gelegt. Zwar war ihm noch nicht klar, welche Rolle das Grundwasser dabei spielt und auch bei seinen Schätzungen zu den beteiligten Wassermengen lag er teilweise noch daneben. Dennoch gelang es ihm, einzelne, schon vorher von anderen Forschern dargelegte Theorien zum Ursprung von Quellen oder dem Verbleib des Niederschlags zu präzisieren und zu ergänzen.