Verhaltensforschung

Auch Meereswürmer haben eine Persönlichkeit

Biologen stellen vor allem Unterschiede in Sachen Pünktlichkeit fest

Innere Uhr Meereswürmer
Auch Meereswürmer haben einen individuellen Tag-Nacht-Rhythmus. © Alfred-Wegener-Institut

Wurmige Persönlichkeiten: Offenbar gibt es selbst unter vermeintlich primitiven Meereswürmern individuelle Unterschiede – einige sind überpünktlich, andere dagegen bummelnde Couch-Potatoes, wie Biologen nun herausgefunden haben. Überraschend individuell sind demnach vor allem die täglichen Aktivitätsmuster der Borstenwürmer. Sie könnten künftig sogar mehr über die verschiedenen Chronotypen bei uns Menschen verraten. Doch wie kommen die Wurm-Persönlichkeiten zustande?

Es gibt Menschen, die schon um sechs Uhr morgens topfit sind, dafür aber direkt nach der Tagesschau todmüde ins Bett fallen, während andere erst gegen Abend ihr Leistungshoch erleben und dafür dann morgens länger liegen bleiben. In der Forschung zur inneren Uhr spricht man auch von sogenannten Lerchen und Eulen. Hinzu kommen Chronotypen, die irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen.

Zwischen Couch-Potatoes und Überpünktlichen

Tatsächlich sind auch aus dem Tierreich individuelle Unterschiede im Tag-Nacht-Rhythmus bekannt. So unterscheiden sich etwa die täglichen Aktivitätsmuster von Ameisen, je nachdem, welche Rolle diese im Ameisenstaat zu erfüllen haben. Und selbst der nur wenige Zentimeter große marine Borstenwurm Platynereis dumerilii hat offenbar individuelle Präferenzen, wenn es um seinen Tagesablauf geht, wie Forschende um Sören Häfker von der Universität Wien nun herausgefunden haben.

Meereswürmer
Im Labor zeigten die verschiedenen Würmer jeweils individuelle Aktivitätsmuster. © Alfred-Wegener-Institut/ Birgit

In den Labortanks konnte das Team beobachten, wie manche Würmer in den Nächten rund um Neumond immer zur selben Zeit herumkrabbelten, während andere als „Couch-Potatoes“ nur unregelmäßig solche Ausflüge unternahmen. Zusätzlich zu diesen beiden Extremen konnten die Wissenschaftler auch noch verschiedene Zwischenformen beobachten.

Spannend auch: Das individuelle Verhalten der Würmer blieb im Laufe der Zeit konstant. So war eine Couch-Potato auch nach Wochen immer noch eine Couch-Potato. „Selbst Würmer sind also sozusagen kleine rhythmische Persönlichkeiten“, erklärt Seniorautorin Kristin Tessmar-Raible, ebenfalls von der Universität Wien.

Genkopien prägen Chronotyp

Doch was bestimmt das Aktivitätsmuster eines Meereswurms? Um das herauszufinden, verglichen Häfker und seine Kollegen die Genaktivität in den Köpfen von besonders pünktlichen und unregelmäßig aktiven Würmern. Dabei stellten sie fest, dass beide Chronotypen während ihres 24-Stunden-Zyklus zwar ähnlich viele Kopien ihrer DNA herstellen, doch diese unterschiedlichen Zwecken dienen.

Während bei den pünktlichen Würmern vor allem solche Kopien entstehen, die mit neuronalen und verhaltensbezogenen Prozessen zusammenhängen, sind die Kopien der Couch-Potatoes stärker stoffwechselbezogen, wie die Forschenden berichten. Diese Unterschiede begünstigen dann offenbar auch die individuellen Tag-Nacht-Rhythmen.

Vorteilhaft für Klimawandel und Medizin

Die große Vielfalt an unterschiedlichen Aktivitätsmustern könnte für die Meereswürmer dabei ein evolutionärer Vorteil sein, wie Häfker und seine Kollegen vermuten. Da die Tiere in Küstennähe und somit in Umgebungen mit sehr wechselhaften Bedingungen leben, könnte an einer Stelle der eine und nicht weit davon ein anderer Lebensstil zu größerem Erfolg verhelfen. In einer Welt, die sich auch durch menschengemachte Faktoren wie Klimawandel und Lichtverschmutzung zunehmend wandelt, könnten die verschiedenen Chronotypen dann irgendwann sogar das Überleben der Spezies sichern.

Doch nicht nur den Würmern selbst, sondern auch uns Menschen könnten die abwechslungsreichen Lebensstile der Meeresbewohner weiterhelfen. Denn als Modellorganismus könnten sie der menschlichen Chronomedizin, die bei der Behandlung eines Patienten auch dessen täglichen Rhythmus berücksichtigt, zu neuen Erkenntnissen verhelfen. (PLOS Biology, 2024; doi: 10.1371/journal.pbio.3002572

Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

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