Medizin

Wie Multiple Sklerose früher erkannt werden kann

MS könnte künftig schon vor Symptombeginn behandelt werden

Illustration: Nervenzellen und Antikörper
Bei der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose greifen Antikörper versehentlich körpereigene Strukturen an. Das führt zu Nervenschäden. © peterschreiber.media / iStock

Frühe Warnzeichen: Die neurodegenerative Erkrankung Multiple Sklerose kündigt sich in einigen Fällen durch charakteristische Autoantikörper im Blut an, wie eine Studie ergab. Demnach finden sich diese molekularen Vorboten im Blut, lange bevor die ersten Symptome auftreten. Das könnte die Diagnose erleichtern und Betroffenen eine frühzeitige Behandlung ermöglichen, wie die Neurologen in „Nature Medicine” berichten. Doch nicht bei allen MS-Patienten finden sich solche Biomarker.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die die muskelsteuernden Nerven in Gehirn und Rückenmark zerstört. Fast drei Millionen Menschen weltweit leiden daran. Betroffene bemerken anfänglich nur allgemeine Symptome wie Schwindel, Krämpfe und Müdigkeit. Mit Voranschreiten der Krankheit können sie sich dann auch immer schlechter bewegen.

Neue Therapiemethoden können die Erkrankung zwar effektiv bremsen, jedoch bislang nicht heilen. Um Nervenschäden möglichst zu verhindern, sind daher eine frühzeitige Diagnose und Behandlung wichtig. Bisher werden dafür MRT-Scans vom Gehirn der Betroffenen verwendet, die meist jedoch erst bei deutlich erkennbaren Nervenschäden eine eindeutige Diagnose ermöglichen. Forschende arbeiten daher seit Längerem an alternativen Methoden, um MS früher zu erkennen.

Wenn der Körper sich selbst bekämpft

Ein Forschungsteam um Colin Zamecnik von der University of California in San Francisco hat nun ein bekanntes Verfahren weiterentwickelt, um es für Multiple Sklerose anwenden zu können. Die Neurowissenschaftler nutzten die gängige Immunopräzipitations-Technik, bei der gentechnisch veränderte Viren zum Einsatz kommen, die kleine Stücke von menschlichen Proteinen auf ihrer Oberfläche tragen. Antikörper in einer Blutprobe, die an solche Proteine binden, bleiben bei dieser Methode an den Viren hängen und werden so nachgewiesen.

Diese sogenannten Autoantikörper sind bekanntermaßen der Auslöser für Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, bei denen das Immunsystem versehentlich körpereigene Proteine bekämpft. Forschende gehen davon aus, dass die menschlichen Proteine denen von gängigen Krankheitserregern ähneln, sodass unser Immunsystem sie fälschlicherweise als gefährlich identifiziert.

In ihren Tests verwendeten Zamecnik und seine Kollegen Stücke von menschlichen Proteinen, die denen von gängigen Viren ähneln. Unter anderem enthält das Epstein-Barr-Virus (EBV) Proteine mit einem solchen Aussehen. Frühere Studien legen nahe, dass dieses Virus MS auslösen kann.

Blutproben von MS-Patienten durchsucht

Mit dieser Immunopräzipitations-Technik suchten Zamecnik und seine Kollegen in Blutproben von 250 MS-Patienten nach passenden Autoantikörpern. Die Proben stammten aus einer Biobank, in der Blut von US-Militärpersonal gesammelt wird. Die Neurowissenschaftler testeten sowohl Blutproben, die kurz nach einer MS-Diagnose gesammelt wurden, als auch solche, die durchschnittlich fünf Jahre zuvor beim Eintritt in das Militär entnommen wurden.

Diese Proben verglichen die Forschenden zudem mit denen von 250 gesunden Testpersonen. „Eine phänomenale Kohorte von Individuen, um zu sehen, wie sich diese Art von Autoimmunität zu Beginn dieser Krankheit entwickelt“, sagt Zamecnik.

Blutmarker verraten Multiple Sklerose noch vor Symptombeginn

Tatsächlich fanden die Neurowissenschaftler in den Tests ein charakteristisches Muster aus mehreren Autoantikörpern für Multiple Sklerose. Diese traten zudem in einigen Fällen nicht erst mit Symptombeginn auf, sondern bereits in den älteren Blutproben. Bei zehn Prozent der untersuchten MS-Patienten zeigten sich diese Immunmarker bereits Jahre vor der Diagnose, wie das Team berichtet.

Weitere Analysen bestätigten zudem, dass sich im Blut der MS-Patienten auch erhöhte Werte des Proteins Serum-Neurofilament-Light (sNfL) befinden. Dieses Protein wird von Nervenzellen ins Blut abgegeben, wenn sie sterben, wie die Forschenden erklären. Dieser Biomarker fand sich in der Studie auch in den frühen Blutproben, die bereits vor Symptombeginn die Autoantikörper-Signatur enthielten. Das deutet auf einen frühen, aber von den Betroffenen unbemerkten Krankheitsbeginn hin. Allerdings ist sNfL nicht spezifisch für MS, sondern kommt auch bei anderen neuronalen Erkrankungen vor, unter anderem Alzheimer und Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Für eine eindeutige Diagnose reicht dieser Biomarker daher nicht aus.

Um ihre Befunde zu bestätigen, wiederholten Zamecnik und seine Kollegen die Tests mit weiteren Blut- und Nervenwasser-Proben von 104 diagnostizierten MS-Patienten und 22 Testpersonen mit ähnlichen neurologischen Symptomen. Das Ergebnis: Die zuvor beobachteten charakteristischen Autoantikörper fanden sich erneut in zehn Prozent der Proben von MS-Patienten. Probanden mit ähnlichen Symptomen, die jedoch nicht an MS litten, wiesen diese Antikörper hingegen nicht auf.

Zuverlässige und frühzeitige Diagnose für manche MS-Patienten

Die Neurowissenschaftler schließen daraus, dass sich ihre Methode eignet, um MS zuverlässig und frühzeitig zu diagnostizieren. „Die Diagnose von MS ist nicht immer einfach, weil wir bislang keine krankheitsspezifischen Biomarker hatten“, sagt Seniorautor Michael Wilson von der University of California in San Francisco. „Wir freuen uns, dass wir nun etwas haben, das mehr diagnostische Sicherheit zu einem früheren Zeitpunkt geben kann, um eine konkrete Diskussion darüber zu führen, ob mit der Behandlung begonnen werden soll“, ergänzt der Neurologe.

Multiple Sklerose könnte demnach künftig bei einigen Betroffenen bereits vorsorglich behandelt werden, noch bevor sie erste Symptome entwickeln. „Das erhöht unsere Chancen, von der Unterdrückung zur Heilung überzugehen“, sagt Seniorautor Stephen Hauser von der University of California in San Francisco. Die Forschenden wollen nun aus ihrem experimentellen Verfahren einen Standard-Bluttest für den klinischen Einsatz entwickeln. „Eine solche Diagnostik macht ein frühzeitiges Eingreifen wahrscheinlicher und gibt den Patienten Hoffnung auf ein besseres Leben“, sagt Wilson.

Folgestudien mit mehr Probanden müssen nun die Befunde bestätigen und auch klären, warum die übrigen 90 Prozent der MS-Patienten keine der charakteristischen Antikörper in ihrem Blut aufweisen. Für sie ist das neue Verfahren zur Früherkennung derzeit nicht geeignet. (Nature Medicine, 2024; doi: 10.1038/s41591-024-02938-3)

Quelle: University of California – San Francisco

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