Forscher / Entdecker

Hildegard, die Dichterin und Komponistin

Kirchenlieder mit ungewöhnlichen Noten

Weniger bekannt als ihre Heilkunde ist heute, dass sich Hildegard von Bingen im Mittelalter auch als Poetin und Musikerin einen Namen gemacht hat. So verfasste Hildegard diverse Gedichte, Kirchenlieder und ein Singspiel für den Gottesdienst, wie eine überlieferte Sammlung mit über 70 liturgischen Gesängen und einem liturgischen Drama belegt. Bei diesen Werken handelt es sich im Grunde um gesungene Gebete und Psalmen. Ihr geistliches Singspiel gilt als das erste dieser Art in Europa.

Symphonia Harmoniae Caelestium Revelationum: Dieses musikalische Manuskript verfasste Hildegard von Bingen zwischen 1163 und 1175.
Symphonia Harmoniae Caelestium Revelationum: Dieses musikalische Manuskript verfasste Hildegard von Bingen zwischen 1163 und 1175. © Okapi071/CC-by 1.0

Musikalisch ungewöhnlich …

Ihre Musik bestand im Wesentlichen aus gregorianischen Chorälen in lateinischer Sprache wie sie damals in der katholischen Kirche und in den Benediktiner-Klöstern üblich waren. Die von Hildegard komponierten Melodien zeichneten sich jedoch durch ein ungewöhnlich großes Spektrum an Tönen, Klängen und Intervallen aus, die zusammen außergewöhnliche Harmonien und Symphonien ergaben.

„Üblich waren Melodien, die jeder Silbe einen Ton zuordneten. Hildegard aber unterlegte häufig einzelne Silben mit mehreren Tönen“, sagt der Historiker Ralf Lützelschwab. Sie unterteilte den Text auch nicht wie üblich in Strophen. Einen Refrain gab es in ihren Liedern ebenfalls nicht, einzelne Melodie-Passagen wurden jedoch mit anderem Text wiederholt.

…aber nicht musikalisch unerfahren

Möglich wurden diese musikalischen Ausbrüche den Überlieferungen zufolge, weil Hildegard keine klassische Bildung im Sinne von Strukturen der Musik erhalten hatte. „Sie sagt von sich, dass ihr das handwerkliche Rüstzeug zum Komponieren gefehlt hat“, schrieb die Nonne Christiane Rath von der Benediktinerinnenabtei Sankt Hildegard in einer Analyse von Hildegards musikalischem Wirken. Stattdessen habe sie intuitiv komponiert, ohne Rücksicht auf musikalische Gesetze.

Allerdings beinhaltete ihr klösterliches Leben auch regelmäßige Musik. Musikwissenschaftler gehen heute davon aus, dass Hildegards Choräle nur jemand hervorbringen konnte, der mit dem Musikrepertoire und den Musikformen des Mittelalters bestens vertraut war. „Und doch ist ihre musikalische Sprache bei aller Formelhaftigkeit wiederum so individuell, dass ihre Stimme aus dem Chor des Mittelalters unverkennbar herauszuhören ist“, sagte die Musikwissenschaftlerin Marianne Richter-Pfau gegenüber dem BR.

Loblieder auf Gott

„Ob Hildegard selbst ein Instrument beherrschte, ist in der Forschung umstritten“, berichtet Lützelschwab. Sie soll jedoch viel gesungen haben. Thematisch verarbeitete Hildegard in ihren Liedern ihre „göttlichen Visionen“ und theologischen Vorstellungen. Sie besang beispielsweise Gott und seine Schöpfung, Jesus Christus und den Heiligen Geist. Auch Heilige, Propheten und Apostel kommen in ihren Texten vor. Hildegard selbst nannte ihre Musik „himmlisch“ und „göttlich“.

Die Sprache ihrer Lieder und Gedichte war dabei ebenso eigenwillig wie ihre Kompositionen, berichtete Schwester Rath. Sie zitiert in einem Artikel den Philologen Peter Dronke von der Universität Cambridge: „Es ist nicht die geschliffene Sprache eines Humanisten des 12. Jahrhunderts.“ Doch Hildegard erreiche in ihren Gedichten „eine visionäre Konzentration und einen beschwörenden und assoziativen Reichtum, der ihr Werk absetzt von nahezu allen anderen religiösen Dichtungen ihrer Zeit.“

Ein Stück Musikgeschichte

Hildegards musikalische Werke wurden erst im 19. Jahrhundert wieder entdeckt und gewürdigt – deutlich später als ihr medizinisches Wissen. „In den Jahrhunderten nach ihrem Tod 1179 war diese Seite ihres Wirkens gänzlich in Vergessenheit geraten“, sagt Lützelschwab. Heute gilt Hildegard von Bingen einigen als bedeutendste Schriftstellerin und Komponistin des Mittelalters. Als wichtige Komponistin der Musikgeschichte ist sie vor allem in den USA, Australien und Japan bekannt, informiert die Stadt Bingen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Hildegard von Bingen – Visionärin des Mittelalters
Wer war die berühmte Nonne und Gelehrte vom Rhein?

Die Nonne, die zur Heiligen wurde
Ein Leben im Dienst der Kirche

Äbtissin mit politischem Gespür
Wie weit reichte das Netzwerk der Hildegard von Bingen?

Das Erbe der „Hildegard-Medizin“
Wissenschaftlerin, Naturheilerin oder Kräuterhexe?

Hildegard, die Dichterin und Komponistin
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