Medizin

Ein Virus als blinder Passagier

Neu entdeckte Viren gelangen mit dem Toxoplasmose-Erreger in unser Gehirn

Illustration des Parasiten T. gondii, der Tiere und Menschen befällt
Der Parasit T. gondii befällt vor allem Katzen, infiziert aber auch viele Menschen und kann zu Toxoplasmose führen. Für einen schweren Verlauf kann eine Co-Infektion mit einem Virus verantwortlich sein. © wildpixel / iStock

Virale Piraterie: Ein neu entdecktes RNA-Virus nutzt einen gängigen Parasiten als „Trojanisches Pferd“ und Einfallstor, um in unser Gehirn zu gelangen und dort Zellen zu infizieren. Die ansonsten meist harmlose Toxoplasmose kann dadurch gefährliche Entzündungen hervorrufen. Es ist die erste Beobachtung einer solchen Co-Infektion durch Parasiten und Viren. Der Fall zeigt, dass Viren auch auf indirektem Weg zu zoonotischen Erkrankungen des Menschen führen können.

Etwa ein Drittel aller Menschen sind Schätzungen zufolge mit dem Parasiten Toxoplasma gondii infiziert. Der Einzeller kommt weltweit vor und befällt vor allem Katzen, kann aber auch andere Wirbeltiere als Zwischenwirte nutzen. Der Parasit kann dabei in allen tierischen Zellen leben, außer in Blutzellen. Oft sind auch Nervenzellen befallen, nachdem der Parasit über gekaperte Immunzellen ins Gehirn gelangt ist.

Warum verläuft die Krankheit so unterschiedlich?

Infektionen mit T. gondii werden von den Betroffenen in der Regel gar nicht bemerkt, da diese sogenannten Toxoplasmosen nur in etwa zehn Prozent der Fälle mit spürbaren Symptomen wie schmerzhaften Entzündungen, Fieber oder Sehstörungen einhergehen. Auch neurologische Spätfolgen sind möglich, aber selten. Angesichts seiner weiten Verbreitung stellt sich jedoch die Frage, warum die Krankheit so unterschiedlich verläuft und ob es vorhersehbare Umstände gibt, unter denen eine Infektion mit dem winzigen Parasiten gefährlich werden könnte.

Um das herauszufinden, hat eine Forschungsgruppe um Purav Gupta von der University of Toronto nun mithilfe von Computeranalysen in Gesundheitsdaten und Sequenzierungsdaten von Millionen Bioproben nach einem Zusammenhang zwischen Toxoplasmose-Erkrankungen, Nervenentzündungen und RNA-Viren gesucht. Ihre Vermutung: Das Krankheitsbild könnte durch eine noch unerkannte, begleitende Virusinfektion hervorgerufen werden.

Co-Infektion verstärkt Toxoplasmose-Symptome

Tatsächlich wurden Gupta und seine Kollegen fündig: Sie entdeckten das RNA-Virus Apocryptovirus odysseus sowie 18 seiner nahen Verwandten in menschlichen Nervenzellen und anderen tierischen Zellen. Betroffene, die mit einem dieser Narnaviren und gleichzeitig mit dem Parasiten T. gondii infiziert waren, wiesen schwere Nervenentzündungen auf, wie aus den Gesundheitsdaten hervorging.

Die Forschenden schließen daraus, dass eine Co-Infektion mit dem Parasiten und einem Narnavirus die Symptome einer Toxoplasmose verstärkt. „Unsere Forschung ist das erste Mal, dass Wissenschaftler Toxoplasmose mit einem Virus in Verbindung gebracht haben“, so Gupta.

Virus nutzt Parasiten als Einfallstor

Doch wie wirken die beiden Erreger zusammen? „Wir glauben, dass das Virus und der Parasit Hand in Hand arbeiten, um Krankheiten im menschlichen Wirt zu verursachen. Das Virus versteckt sich dabei im Inneren des Parasiten, wie ein Soldat in einem Trojanischen Pferd, um in das menschliche Gehirn einzudringen“, erklärt Gupta. Demnach bedient sich das Virus desselben Prinzips wie der Parasit selbst, der menschliche Zellen als Trojanisches Pferd verwendet.

Das menschliche Immunsystem erkennt dann die RNA des Virus als fremd und reagiert darauf, wodurch sich die Toxoplasmose verschlimmert, berichten die Forschenden. Das neu entdeckte Narnavirus A. odysseus kommt beispielsweise in zwei Stämmen des Parasiten T. gondii vor, wie das Team erklärt. Der RUB-Stamm kursiert unter anderem in Französisch-Guinea und verursacht bei Betroffenen Fieber und Organversagen. Der COUGAR-Stamm befällt das Auge und kann blind machen, wie Fälle aus British Columbia belegen. Beide Parasitenstämme sind jedoch vermutlich noch weiter verbreitet.

Neue Chancen für Diagnose und Therapie von Parasiten-Infektionen

Da die identifizierten RNA-Viren den Menschen nicht direkt und ohne fremde Hilfe befallen können, weist ihr Vorkommen in menschlichen Zellen auf eine gleichzeitige Parasiteninfektion wie Toxoplasmose hin. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Diagnose: „Die Gruppe von 19 RNA-Viren, die wir gefunden haben, sind starke Biomarker für parasitäre Infektionen”, erklärt Koautor Artem Babaian von der University of Toronto. „Das A. odysseus-Virus könnte ein wertvoller Marker für krankheitsverursachende Infektionen wie schwere Toxoplasmose bei Menschen oder anderen Tieren sein.“

Das Team will zudem testen, ob die durch eine parasitäre Infektion hervorgerufenen Symptome behandelt werden können, indem man gegen die Viren innerhalb des Parasiten vorgeht.

Zoonosen durch indirekte Virus-Infektionen möglich

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass nicht nur Tiere, sondern auch andere Lebewesen virale Reservoire und Zwischenwirte für zoonotische Erkrankungen bei uns Menschen sein können. „Diese Studie unterstreicht, wie wichtig es ist, über die Viren, die Menschen direkt infizieren, in das erweiterte Virom hinauszuschauen“, so Babaian. (Virus Evolution, 2024; doi: 10.1093/ve/veae040)

Quelle: University of Toronto

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