Zweisprachig aufgewachsene Menschen haben viele Vorteile: Zum einen beherrschen sie gleich zwei Sprachen auf muttersprachlichem Niveau. Zum Anderen filtern sie Stimmen präziser aus einem Gewirr von Stimmen und Musik heraus und können sogar Prioritäten besser setzen, als einsprachig aufgewachsene Menschen, wie Studien ergeben haben.
Weil zweisprachige Menschen permanent zwischen zwei Sprachen hin- und herwechseln, laufen bestimmte mentale Filterungsprozesse, wie die Entscheidung, welche von zwei Vokabeln oder Grammatiken gerade die richtige ist, bei ihnen schneller ab als bei Menschen, die eine Zweitsprache erst in der Schule oder als Erwachsene gelernt haben. „Es ist nicht überraschend, dass intensive und jahrelange Übung einer Sprache seine Spuren in unserem Geist und Gehirn hinterlässt“, so Ellen Bialystok von der York University in Toronto.
Getrennte Wahrnehmungssysteme
Und auch die individuellen Laute einer Sprache, wie etwa das „th“ im Englischen, können zweisprachig aufgewachsene Menschen besser artikulieren und unterscheiden. Die Erklärung: Sie entwickeln bereits als Kinder für ihre beiden Muttersprachen zwei komplett getrennte Lautwahrnehmungssysteme und nehmen deshalb Klänge und Silben je nach aktivem System leicht unterschiedlich wahr, wie Linguisten herausgefunden haben.
Abhängig davon, welche Sprache sie gerade erwarten, schalten die bilingualen Personen dann in den entsprechenden Wahrnehmungsmodus. „Wenn man einen Zweisprachigen in den Englisch-Modus versetzt, verhält er sich wie ein Englisch-Sprechender“, erklärt Andrew Lotto von der University of Arizona. Umgekehrt wechselt die Person in den Spanisch-Modus, wenn sie spanische Wörter erwartet.
Bin ich auf Spanisch jemand anderes?
Dieser adaptive Modus scheint sich ebenfalls auf das Verhalten von bilingualen Menschen auszuwirken: In einem Experiment berichteten spanisch-englischsprachig aufgewachsene Frauen beispielsweise, dass sie sich im Spanischen selbstbewusster fühlten als im Englischen. Externe Beobachter bestätigten dies: „Bei den Sitzungen in spanischer Sprache nahmen auch neutrale Zuschauer die Frauen im Experiment als selbstständiger und extrovertierter wahr“, berichtete David Luna vom Baruch College in New York.
Anschließend zeigten die Forschenden den Probandinnen einen Werbespot – zuerst in Englisch und dann später auf Spanisch. „Eine Teilnehmerin sah die Hauptfigur einer Anzeige in der spanischen Version als risikobereite, unabhängige Frau, während sie dieselbe Figur in der englischen Version als hoffnungslose, einsame und verwirrte Frau wahrnahm“, berichtet Luna – je nachdem, auf welcher der beiden Sprachen der Spot lief, bewerteten die Probandinnen die Schauspielerin im Spot also unterschiedlich.
Auf Deutsch zielorientierter
Selbst die Abfolge von Geschehnissen können bilinguale Menschen je nach Sprachmodus offenbar anders wahrnehmen – zumindest, wenn sie zwischen Deutsch und Englisch wechseln. Denn während im Englischen die angehängte Endgung -ing, wie etwa bei „I am walking“ anzeigt, dass eine Handlung in just diesem Moment passiert und noch andauert, fehlt eine solche Form im Deutschen. „Deshalb neigen Sprecher dieser Sprache dazu, Endpunkte und Zeitangaben einer Handlung zu erwähnen, um die Abfolge klarzumachen“, erklärt Panos Athanasopoulos von der Lancaster University.
Um diesen Effekt genauer zu untersuchen, spielten Forschende zweisprachig mit Deutsch und Englisch aufgewachsenen Probanden in einem Experiment einen Videoclip vor, in welchem ein Mann eine Straße in Richtung eines Autos entlangläuft. Ob er dieses tatsächlich ansteuert, blieb in dem Clip allerdings offen.
Und tatsächlich: Bei der Beschreibung des Gesehenen interpretierten Deutschsprachige den Mann als zielorientierter ein. Sie gingen meist davon aus, dass er gezielt auf das geparkte Auto zuging. Bei englischen Muttersprachlern war dies nicht der Fall. Die bilingualen Probanden hingegen bewerteten die Handlung je nach genutzter Sprache anders: Lief der Test in Deutsch ab, stuften sie die Handlung als zielorientiert ein, wurde Englisch gesprochen, reagierten sie wie englische Muttersprachler.