Warum aber sind ausgerechnet wir Menschen mit der evolutionären und anatomischen Gabe für Marathonläufe gesegnet? Welche Vorteile hatte dies für unsere Vorfahren – und welche Folgen hat es für uns heute?
Aufrechter Gang als Auslöser
Der Grundstein dafür wurde wahrscheinlich gelegt, als unsere Vorfahren ihr Leben auf zwei Beinen begannen. „Als die Homininen anatomische Veränderungen entwickelten, die den aufrechten Gang erleichterten, konnten sie mit weniger Kalorien größere Strecken zurücklegen und so neue Lebensräume erschließen“, erklärt Herman Pontzer von der Duke University im „Scientific American“.
„Mit dem Aufkommen der Jagd stieg das Aktivitätsniveau der Homininen weiter an, da sie auf der Suche nach Nahrung weite Strecken zurücklegen mussten“, so Pontzer weiter. „Jäger und Sammler sind bemerkenswert aktiv und legen in der Regel neun bis 14 Kilometer pro Tag zu Fuß zurück – etwa 12.000 bis 18.000 Schritte.“ Die tansanischen Hadza, die heute noch als Jäger und Sammler leben, bewegen sich dadurch an einem einzigen Tag mehr als der durchschnittliche US-Amerikaner in einer kompletten Woche.
Wer rastet, der rostet – tatsächlich
Doch unser Körper ist nicht einfach nur zu einer körperlich aktiven Lebensweise fähig: Er braucht sie sogar, um gesund zu bleiben. Bewegung setzt hunderte Signalmoleküle in unserem Körper frei und reduziert dadurch chronische Entzündungen, stärkt unser Immunsystem, verringert das Krebsrisiko und vieles mehr. Bewegen wir uns zu wenig, macht uns das anfälliger für allerlei gesundheitliche Probleme: von Rückenschmerzen bis hin zu lebensbedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Jährlich gehen in unserer zunehmend trägen Welt daher rund fünf Millionen Todesfälle auf das Konto von Bewegungsmangel. Zum Vergleich: Rauchen tötet jedes Jahr über 7,5 Millionen Menschen. Wie verheerend es sein kann, unseren Körper nicht zu seinem wahren Zweck zu benutzen, zeigt auch eine Studie an australischen Erwachsenen. Diese ergab, dass jede Stunde vor dem Fernseher die eigene Lebenserwartung um 22 Minuten verkürzt. Wer also alle 63,5 Stunden Game of Thrones geschaut hat, hat dadurch einen Tag seines Lebens eingebüßt.
Affen haben’s gut
Jener ausdauernde Körper, der unsere Vorfahren vor 100.000 Jahren zum Spitzenjäger machte, wird uns also allmählich zum Verhängnis. „Wir werden krank, weil unsere alte Biologie nicht der modernen Lebensweise entspricht. Ich nenne das gerne die ‚Evolutionsfalle‘“, sagt der deutsche Pharmakologe Detlev Ganten im Interview mit „Der Standard“.
Interessanterweise haben mit uns eng verwandte Menschenaffen wie Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans solche Probleme nicht. Ohne die Entwicklung des aufrechten Gangs blieb ihnen offenbar auch die Pflicht zur intensiven Bewegung erspart. Sie können daher bedenkenlos acht bis zehn Stunden am Tag mit Ausruhen, Körperpflege und Fressen verbringen, nur um dann neun bis zehn Stunden zu schlafen. „Der typische Tagesablauf eines Schimpansen in freier Wildbahn ähnelt dem eines lethargischen Rentners auf einer Karibikkreuzfahrt, allerdings mit weniger organisierten Aktivitäten“, beschreibt es Pontzer.
Trotzdem steigt bei Schimpansen der Blutdruck nicht mit dem Alter an, Diabetes ist selten und trotz hoher Cholesterinwerte verhärten und verstopfen ihre Arterien nicht. Das Geheimnis dieser „Faulheitstoleranz“ ist bislang erst in Teilen verstanden, liegt aber wahrscheinlich in den Genen unserer nächsten Verwandten verborgen.