Unser angeborenes Lauftalent wird zwar von den wenigsten Menschen voll ausgeschöpft, ein anderes Erbe aus der Steinzeit dagegen schon: die Gelüste nach Zucker und Fett. Zwar waren unsere Vorfahren geübte Jäger, doch auch sie konnten nicht immer wissen, wann sie das nächste Mal etwas essen würden. Die beste Vorsorge lag somit darin, pro Mahlzeit möglichst viele Kalorien zu sich zu nehmen – und die liefern Fett und Kohlenhydrate.
Es ist daher kein Zufall, dass der Geschmack von Süßem und Fettigem in unserem Kopf bis heute eine starke Belohnungsreaktion auslöst: Das intensive Wohlgefühl durch Süßigkeiten oder Junkfood sorgte bei unseren Vorfahren dafür, dass sie jede sich bietende Gelegenheit zum Snacken auch nutzten – ob durch süße Beeren und Obst oder gehaltvolle Jagdbeute. „Süß signalisiert uns: Dieses Lebensmittel enthält wertvolle Kalorien“, erklärt Maik Behrens vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung.
In einer Welt der prall gefüllten Supermärkte und Lieferdienste wird dieser steinzeitliche Mechanismus jedoch zunehmend zum Problem. Denn wo es Kalorien im Überfluss gibt, landen diese häufig auch in ebenso großen Mengen im Magen. Die Folge: Mittlerweile sind mehr als eine Milliarde Menschen weltweit stark übergewichtig. Damit einher gehen zahlreiche gesundheitliche Probleme wie Diabetes, Herz-Kreiskauf-Erkrankungen und Arthrose. „Übergewicht ist damit eine der größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit unserer Zeit“, sagt Ashkan Afshin von der University of Washington.
Für welche Ernährung ist unser Körper gemacht?
Könnte es an dieser Stelle helfen, uns wieder auf unsere Wurzeln zu besinnen und nur noch das zu essen, wofür unser Körper ursprünglich ausgelegt war? Anatomisch betrachtet haben wir tatsächlich überraschend viel mit Pflanzenfressern gemeinsam. Dazu gehören zum Beispiel ein Gebiss mit Mahlzähnen und ein langer, gewundener Darm, wie ihn auch Kühe und Pferde aufweisen. Auch können wir anders als reine Fleischfresser wie Katzen oder Wölfe kein eigenes Vitamin C herstellen, sondern sind darauf angewiesen, es aus pflanzlicher Nahrung zu beziehen.
Diese Anpassungen stehen auch in Einklang mit dem, was unsere früheren Vorfahren gegessen haben: „In unseren wirklich prägenden Jahren, man könnte sagen, in den ersten 90 Prozent unserer Existenz, spiegelten unsere Ernährungsbedürfnisse eine Zeit wider, in der wir hauptsächlich Blätter, Blüten und Früchte aßen und dank wurmstichiger Äpfel auch ein paar Insekten, um unser Vitamin B12 zu bekommen“, erklärt der US-amerikanische Arzt Michael Greger.
Auch abseits von versehentlich gegessenen Insekten ist unser Körper dazu in der Lage, Fleisch zu verwerten, aber rein anatomisch betrachtet ist er eben nicht für so große Mengen ausgelegt wie etwa der eines Hundes. Für Evolutionsbiologen ist der Mensch rein von seiner Anatomie her eher ein unspezialisierter Fruchtfresser (Frugivore), der sich flexibel von Samen und Fleisch ernähren kann.
Steinzeit ist nicht gleich Steinzeit
Wer so leben will, wie es am besten zum Design seines Körpers passt, sollte sich daher am ehesten vorrangig pflanzlich ernähren. Doch der Ansatz vieler Menschen, die zu ihren Wurzeln zurückkehren wollen, ist ein ganz anderer. Sie wollen stattdessen so essen, wie es die Menschen in der Steinzeit getan haben, als sie noch als Jäger und Sammler lebten.
Zu den Must-Haves einer sogenannten „Paleo-Diät“ gehören häufig Fleisch und Fisch sowie Obst und Gemüse, während stark raffinierte und verarbeitete Lebensmittel tabu sind – ebenso wie Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Milchprodukte. Doch selbst jemand, der sich strikt nach diesen Vorgaben ernährt, isst damit immer noch nicht zwingend wie „die“ Menschen der Steinzeit.
Schließlich lebte unsere Spezies schon damals in verschiedensten Regionen und sogar Klimazonen, weshalb auch ihre Ernährung komplett unterschiedlich ausfiel. „In den nördlichen Regionen haben sie fast ausschließlich Fisch gegessen, in der Savanne wahrscheinlich zum großen Teil vegetarische Kost, in Regionen mit vielen Tieren wurde gejagt. Das heißt, steinzeitliche Diät ist eine vielfältige Diät“, sagt Ganten.
Gesund oder gefährlich?
Doch Paleo-Diäten stehen nicht nur hinsichtlich ihrer historischen Rechtfertigung auf wackeligen Beinen. Auch ihr tatsächlicher Nutzen ist umstritten: „Langfristige Studien bieten nicht viele Informationen darüber, wie sich die Paleo-Diät auf die Gesundheit auswirkt. Die Diät hat jedoch das Potenzial, eine gesunde Ernährungsweise zu sein“, informiert die University of California, Davis.
Aber: „Bei dieser Ernährungsweise besteht das Risiko eines Mangels an Kalzium und Vitamin D, die für die Gesundheit der Knochen wichtig sind. Gleichzeitig kann der Verzehr von gesättigten Fettsäuren und Proteinen die empfohlenen Werte weit übersteigen, weil man so viel Fleisch isst. Dies kann ein erhöhtes Risiko für Nieren- und Herzerkrankungen sowie für bestimmte Krebsarten mit sich bringen.“