Psychologie

Fußball-Schiedsrichter: Strenger durch Zeitlupe?

Videomaterial verleitet Unparteiische zu härteren Entscheidungen

Rote Karte: Mit Videomaterial in Zeitlupe wird diese Strafe häufiger verteilt. © Simonkr/ iStock.com

Verstärkender Effekt: Bekommen Fußball-Schiedsrichter ein Foul in Zeitlupe zu sehen, beeinflusst das ihr Urteil deutlich. Ein Experiment zeigt: Durch die langsame Wiederholung nehmen die Unparteiischen Fouls als heftiger wahr und bewerten auch die Absicht des Spielers anders als beim Videobeweis in Normalgeschwindgkeit. Die Folge: mehr rote Karten.

In wenigen Tagen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland – und damit startet auch der Videobeweis in sein erstes WM-Turnier. Über die in der Bundesliga bereits eingeführte Technik wurde in der Vergangenheit viel diskutiert: In welchen Fällen soll der Video-Assistent überhaupt eingreifen? Wie wirken sich die Unterbrechungen auf das Spiel aus? Und inwieweit hilft das Videomaterial bei der Entscheidungsfindung tatsächlich weiter?

Fouls im Fokus

Pünktlich zum Start der Weltmeisterschaft haben sich nun auch Wissenschaftler mit dem Thema beschäftigt. Jochim Spitz von der Katholischen Universität Löwen in Belgien und seine Kollegen wollten wissen: Macht es einen Unterschied für das Urteil, ob ein Unparteiischer die fragliche Situation in Normalgeschwindigkeit oder in Zeitlupe zu sehen bekommt?

Um dies zu überprüfen, zeigten sie 88 Spitzen-Schiedsrichtern aus fünf europäischen Ländern 60 Videosequenzen von Foul-Situationen. In allen gezeigten Fällen wäre der Schiri laut Regelwerk berechtigt gewesen, eine gelbe Karte zu vergeben – das hatten ausgewiesene Experten zuvor bestimmt.

Mehr rote Karten

Wie aber würden sich die Probanden entscheiden? Wie in einem echten Spiel konnten sie entweder eine gelbe, eine rote oder keine Karte an den Übeltäter verteilen. Die Auswertung zeigte: Bei beiden Betrachtungsgeschwindigkeiten erkannten die Schiedsrichter zwar mit einer ähnlich guten Trefferquote, ob ein Foul vorlag.

Wie heftig dieses Foul war und ob der verursachende Spieler mit Absicht gehandelt hatte oder nicht – diese Einschätzung variierte allerdings deutlich. Als Folge vergaben jene Schiedsrichter, die die Situationen in Zeitlupe in Augenschein genommen hatten, häufiger rote Karten als ihre Kollegen aus der Normalgeschwindigkeit-Gruppe.

Härtere Entscheidungen

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Zeitlupe die wahrgenommene Schwere eines Fouls steigert und den entscheidenden Unterschied bei der Beurteilung einer Aktion als unvorsichtig, unsportlich oder grob unsportlich macht“, sagt Spitz. Schiedsrichter neigen nach Wiederholungen in gedrosseltem Tempo demnach dazu, härtere Entscheidungen zu treffen.

„Dies ist eine wichtige Erkenntnis, die bei der Entwicklung von Richtlinien für den Einsatz des Videobeweises in Fußballligen weltweit berücksichtigt werden sollte“, konstatiert der Studienleiter.

Wann hilft die Technik?

Nach Ansicht des Forscherteams kann die Videotechnik zwar in bestimmten Situationen eine sinnvolle Hilfe sein: Welcher Spieler an einem Foul beteiligt war, ob das Vergehen innerhalb des Strafraums passiert ist oder ob jemand im Abseits stand – all dies ist mithilfe des aufgezeichneten Materials meist eindeutiger zu erkennen.

„Menschliches Verhalten und Emotionen wie beispielsweise die Absicht hinter einer Tat zu beurteilen, ist aber eine ganz andere Geschichte“, sagt Spitz. Für solche Situationen sei zumindest die Wiederholung in Zeitlupe womöglich nicht die Methode der Wahl. (Cognitive Research, 2018; doi: 10.1186/s41235-018-0105-8)

(Katholische Universität Löwen, 11.06.2018 – DAL)

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