Doppelter Durchbruch: Physikern ist erstmals ein lange als unmöglich geltendes Experiment gelungen. Es gelang ihnen, eine vierdimensionale Variante des exotischen Quanten-Hall-Effekts nachzuweisen. Dieses quantenmechanische Phänomen wurde bisher zwar theoretisch postuliert, galt aber lange als experimentell nicht nachweisbar. Jetzt haben gleich zwei Forschergruppen den Sprung von zwei auf vier Dimensionen geschafft.
Wir leben in einer Welt mit drei Raumdimensionen – zumindest sind nur diese für uns im Alltag erfassbar. Doch auf der Suche nach einer Theorie, die die Gravitation mit der Quantenmechanik vereint, diskutieren Physiker schon seit Albert Einstein darüber, ob es nicht noch weitere Dimensionen im Universum geben könnte. Vertreter der Stringtheorie gehen dabei sogar von zehn oder elf Dimensionen aus.
Quantisierte Spannung
Das Problem dabei: Solche zusätzlichen Dimensionen und die in ihnen stattfindenden Prozesse sind für uns nicht sichtbar oder erfahrbar – eigentlich. Jetzt jedoch ist es zwei Forscherteams gelungen, in einem nur zweidimensionalen Versuchsaufbau ein physikalisches Phänomen zu erzeugen, das normalerweise nur in vier Dimensionen vorkommt.
In beiden Experimenten ging es um den sogenannten Quanten-Hall-Effekt. Er tritt auf, wenn sich elektrisch geladene Teilchen in einer zweidimensionalen Ebene bewegen, die einem Magnetfeld ausgesetzt ist. Aufgrund der Lorentz-Kraft entsteht senkrecht zur Stromrichtung eine elektrische Spannung. Das Besondere: Bei ultrakalten Temperaturen und starken Magnetfeldern steigt diese Spannung nicht kontinuierlich, sondern quantisiert – in diskreten Stufen.
Eine Frage der Topologie
Dieser überraschende Effekt hängt mit der Topologie der quantenmechanischen Wellenfunktionen zusammen, die das Verhalten der ultrakalten Elektronen beschreiben. Für bestimmte Stärken des Magnetfelds können sie demnach nur auf ganz bestimmten Bahnen fließen. Beobachten ließ sich dieser Quanten-Hall-Effekt aber nur dann, wenn sich die Elektronen nur in zwei Dimensionen bewegen können – so dachte man jedenfalls.
Doch der theoretische Physiker Oded Zilberberg von der ETH Zürich sah dies anders: Er sagte schon vor 20 Jahren voraus, dass man dem zweidimensionalen Quanten-Hall-Effekt unter speziellen Bedingungen virtuelle Zusatzdimensionen verleihen kann. Theoretisch müsste es daher auch einen 4D-Quanten-Hall-Effekt geben.
„Das war damals aber eher Science-Fiction“, erklärt Zilberberg. „Denn so etwas in Experimenten tatsächlich zu beobachten, schien unmöglich – der physikalische Raum hat nun einmal nur drei Dimensionen.
Kopplungen im Lichtleiter
Doch das vermeintlich unmögliche Experiment ist nun gleich zwei Forscherteams gelungen. Zilberberg und seine Kollegen brannten dafür mit Laserstrahlen zunächst ein zweidimensionales Gitter aus schlangenförmig gewundenen Wellenleitern in Glasblock. Licht, das durch dieses Gitter geleitet wurde, kann so je nach Abstand mehr oder weniger leicht in einen benachbarten Wellenleiter überspringen.
Der Clou dabei: Die sich stetig verändernden Kopplungen zwischen den Wellenleitern beeinflusst das Verhalten der Teilchen so, als würden sie sich in vier Dimensionen bewegen. Wie die Forscher beobachteten, macht dies für den vierdimensionalen Quanten-Hall-Effekt charakteristischen Randzustände, bei denen nur aus den Wellenleitern am Rand des Gitters Licht austritt, direkt sichtbar.
Atome im Lasergitter
Im zweiten Experiment nutzten Immanuel Bloch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik und sein Team ultrakalte Atome, um den Quanten-Hall-Effekt in 4D nachzuweisen. Dafür fingen sie eine Wolke ultrakalter Atome in einem zweidimensionalen optischen Gitter aus Laserstrahlen. In beiden Richtungen strahlten die Forscher dann weitere Laserstrahlen einer anderen Wellenlänge ein und verschoben beide Gitter auf spezielle Weise gegeneinander.
Durch Messungen der zweidimensionalen Bewegung der Atome in dem Gitter konnten die Physiker bestätigen, dass sich diese gemäß dem Quanten-Hall-Effekt in vier Dimensionen verhielten: Die Atome bewegten sich sowohl in Richtung der Modulation als auch transversal dazu – und beide Bewegungen waren quantisiert.
Spannend für die Grundlagenforschung
Der praktische Nutzen des Ganzen? „Im Moment sind diese Experimente noch meilenweit von nützlichen Anwendungen entfernt“, gibt Zilberberg zu. Doch für die Grundlagenforschung stellen sie einen wichtigen Fortschritt dar. Physiker können jetzt nicht nur auf dem Papier, sondern auch experimentell untersuchen, welche Auswirkungen Phänomene aus vier – oder sogar noch mehr – Dimensionen in unserer alltäglichen dreidimensionalen Welt haben können.
Ein Beispiel dafür sind Quasikristalle in Metalllegierungen. In drei Raumdimensionen habe diese zwar keine periodische Struktur, doch sieht man sie sich in virtuellen höheren Dimensionen an, so weisen sie wieder regelmäßige Muster auf. Und schließlich ist da noch die Stringtheorie, gemäß der höhere Raumdimensionen derart „kompaktifiziert“ sein sollen, dass am Ende unsere normale dreidimensionale Welt entsteht. (Nature, 2018; doi: 10.1038/nature25011, doi: 10.1038/nature25000)
(Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Max-Planck-Institut für Quantenoptik, 05.01.2018 – NPO)