Verblüffende Erkenntnis: Das chaotische und seltsame Verhalten von Mücken im Schwarm lässt sich durch eine altbekannte physikalische Formel beschreiben, wie ein britischer Forscher entdeckt hat. Demnach folgt der Flug der Insekten der Langevin-Gleichung – der Formel, die auch die Brownsche Molekularbewegung beschreibt. Sie erklärt, warum die Mücken extreme Flugmanöver fliegen und was ein Mückenschwarm mit Sternenhaufen und Flüssigkeiten gemeinsam hat.
Mückenschwärme sind faszinierende Gebilde: Während sich Vögel oder Fische in ihren Schwärmen hochgradig koordiniert bewegen, scheinen die Insekten völlig chaotisch durcheinander zu fliegen. Dennoch halten diese Mückenwolken wie von Zauberhand zusammen. „Obwohl die Bewegung der einzelnen Mücken im Schwarm in Geschwindigkeit und Beschleunigung zufällig aussieht, scheint jede Mücke dennoch durch eine Art Anziehungskraft mit dem Zentrum des Schwarms verbunden zu sein“, erklärt Andy Reynolds vom britischen Forschungszentrum Rothamsted Research.
Extreme G-Werte im Flug
Wie erstaunlich das Verhalten der Mücken im Schwarm ist, haben erst vor kurzem Highspeed-Videoaufnahmen enthüllt. Sie zeigen, dass die Insekten in ihrem Flug teilweise extreme Beschleunigungen erreichen und sich dem bis zu Zehnfachen der Erdanziehungskraft aussetzen –ein Jetpilot würde bei solchen Beschleunigungen bewusstlos werden. Die Mücken überstehen dies jedoch problemlos.
Ebenfalls bemerkenswert: Selbst ein starker Windstoß oder eine andere Störung kann den Mückenschwarm kaum zerstreuen. Je weiter eine Mücke vom Schwarmzentrum entfernt ist, desto hartnäckiger und stärker scheint sie bestrebt, den Zusammenhalt nicht zu verlieren. „Paradoxerweise scheinen die Mücken eng mit dem Schwarmzentrum verbunden zu sein, während sie sich gleichzeitig wie freie, ungebundene Partikel bewegen“, erklärt Reynolds.
Komplexes Verhalten, simples Prinzip
Wegen dieses seltsamen Verhaltens ist es Forschern bisher nicht gelungen, die Bewegungen der Mücken im Schwarm in Modellen nachzuvollziehen. Es erschien zu komplex, um es nachzubilden. Jetzt jedoch ist Reynolds dies geglückt – dank einer verblüffenden Erkenntnis. Der Forscher hat herausgefunden, dass die Bewegungen der Mücken einer lange bekannten physikalischen Gleichung folgen: der Langevin-Gleichung.
Diese Gleichung wird in der Physik beispielsweise genutzt, um die Brownsche Molekularbewegung zu beschreiben. Wie Reynolds nun herausgefunden hat, folgt auch der Flug der Mücken im Schwarm diesem Prinzip. Dadurch lässt sich die scheinbar chaotische, komplexe Bewegung der Insekten mit nur wenigen Parametern und durch die Beobachtung nur weniger Tiere im Schwarm beschreiben und erklären.
Wie ein Sternenhaufen oder eine schwappende Flüssigkeit
Dem Forscher ist es mit Hilfe der Langevin-Gleichung gelungen, den Flug im Mückenschwarm in einem mathematischen Modell nachzubilden. „Die Gleichung sagt voraus, dass die Mücken durch gravitationsähnliche Kräfte miteinander verbunden sind – sie bewegen sich ein wenig wie Sterne in einem Sternenhaufen“, erklärt der Forscher. Ähnlich wie diese besitzt auch ein Mückenschwarm dadurch ein dichteres Zentrum, das von einer Hülle weniger dichter fliegender Tiere umgeben ist.
Das neue Modell zeigt auch, dass sich ein Mückenschwarm bei Störeinflüssen von außen wie eine Flüssigkeit verhalten kann: „Das ‚Tanzen‘, das man bei Mückenschwärmen oft sieht, ist in Wirklichkeit eher mit dem Schwappen einer Flüssigkeit vergleichbar“, erklärt Reynolds. Der Schwarm „schwappt“ nach einem heftigen Windstoß hin und her, bis er sich wieder in einem Gleichgewicht einpendelt.
Nützlich für die Landwirtschaft
Nützlich ist diese Entdeckung nicht nur für die Grundlagenforschung, sie könnte auch ganz praktische Anwendungen in der Landwirtschaft haben. Denn mithilfe der neuen Modelle könnten Bauern beispielweise vorhersagen, wohin und wie schnell sich Schwärme von Pflanzenschädlingen bewegen. „Wir haben jetzt gezeigt, dass man solche Flugbewegungen schon mithilfe der einfachsten Beobachtungsdaten ermitteln kann“, so Reynolds. (Journal of the Royal Society Interface, 2018; doi: 10.1098/rsif.2017.0806)
(Rothamsted Research, 03.01.2018 – NPO)