Überraschend anders: In der Türkei haben Geologen eine ganz neue Variante der Plattentektonik entdeckt – sie schuf das zentralanatolische Hochplateau. Dabei bildete sich an der Unterseite der festen Erdplatte ein tropfenförmiger Gesteinsausläufer, der immer länger wurde und sich dann ablöste. Der Verlust dieses Gesteins dünnte die Lithosphäre aus und verursachte eine Hebung der Erdoberfläche – das Hochplateau entstand.
Wenn sich Gebirge auftürmen oder ein Hochplateau entsteht, dann steckt meist die Plattentektonik dahinter – die langsame, aber unaufhörliche Bewegung der Erdplatten. Oft führt die Kollision zweier tektonischer Platten dazu, dass die Erdkruste an einer Stelle gestaucht und aufgewölbt wird. An anderen Stellen führt ein Auseinanderweichen zu einer Ausdünnung der Kruste und zur Bildung von Senken.
Rätsel um zentralanatolisches Plateau
Doch es gibt eine Region, die nicht in dieses allgemeine Bild passt: das zentralanatolische Hochplateau in der Türkei. Dieses Gebiet wurde im Laufe der letzten rund zehn Millionen Jahre rund einen Kilometer gegenüber der Umgebung angehoben. Gleichzeitig jedoch zeigen seismische Messungen, dass die Lithosphäre, der feste Teil von Kruste und oberem Erdmantel, unter diesem Plateau ausgedünnt ist.
„Die Daten sprechen dafür, dass die Lithosphäre unter Zentralanatolien nur rund 60 Kilometer dick ist“, berichten Oguz Gögüs von der Technischen Universität Istanbul. Das spricht nicht dafür, dass eine normale Stauchung die Hochebene angehoben hat. Aber was war es dann? Um das herauszufinden, haben die Forscher erneut die geologischen und geophysikalischen Daten der Region analysiert und zusätzlich mögliche Entstehungsszenarien modelliert.
Ein Tropfen aus Gestein
Das überraschende Ergebnis: Das zentralanatolische Hochplateau verdankt seine Existenz offenbar einem bisher unbekannten tektonischen Mechanismus. Demnach führte die tektonische Stauchung des anatolischen Bogens vor rund vier Millionen Jahren zunächst zwar zu einer Verdickung der Lithosphäre. Diese führte aber zu einer ungewöhnlichen Reaktion: An der Unterseite der verdickten Lithosphäre bildete sich eine Art Tropfen aus schwerem Gestein.
Das Gewicht dieses Gesteinszapfens zog die Kruste an dieser Stelle nach unten, so dass sich an der Oberfläche eine Senke bildete. „Diese schwere Basis der tektonischen Platte scheint dann in den Mantel ‚heruntergetropft‘ zu sein“, erklärt Gögüs. Ähnlich wie sich ein Siruptropfen immer weiter in die Länge zieht und dann von einem Löffel löst, verhielt sich auch dieser Gesteinstropfen: Er löste sich von der Lithosphäre ab und versank im Erdmantel.
Ausgedünnt und angehoben
Die Folge dieser Abtrennung: Die Lithosphäre war nun an dieser Stelle dünner, weil ihr ja Gestein fehlte. Gleichzeitig strömte heißes, zähflüssiges Mantelgestein in die entstandene Lücke. Beides zusammen führte dazu, dass die Lithosphärenplatte an dieser Stelle angehoben wurde. „Im Prinzip löste der Verlust des dichten Lithosphärenankers ein Hochfedern der gesamten Landmasse über hunderte von Kilometern hinweg aus“, erklärt Gögüs.
Durch diese Gegenbewegung hob sich das zentralalanatolische Plateau schließlich um rund einen Kilometer an. „Das ist eine ganz neue Variante der fundamentalen Konzepte der Plattentektonik“, sagt Koautor Russell Pysklywec von der University of Toronto. „Sie liefert uns einen Einblick in die Verknüpfung zwischen der Konvektionsströmung von Gestein im Erdmantel und den an der Oberfläche beobachteten Auswirkungen der Plattentektonik.“
Gleicher Prozess auch anderswo?
Die Forscher vermuten, dass eine solche Hebung durch „Abtropfung“ auch an anderen Orten der Erde vorgekommen sein könnte. Welchen geologischen Gegebenheiten diesen ungewöhnlichen Prozess ermöglichen, muss nun noch näher untersucht werden.
In Zentralanatolien könnte die Hebung des Hochplateaus sogar eine wichtige Rolle für die Menschheitsgeschichte gespielt haben. Denn dieses Gebiet gilt als eine der Regionen, in der unsere Vorfahren von Jägern und Wanderern zu sesshaften Bauern wurden. (Nature Communications, 2017; doi: 10.1038/s41467-017-01611-3)
(University of Toronto, 29.11.2017 – NPO)