Vorherbestimmte Elternschaft? Wann wir unser erstes Kind bekommen und wie viel Nachwuchs später noch folgt, hängt auch von den Genen ab. Forscher haben zwölf Stellen im Genom gefunden, die damit zusammenzuhängen scheinen. Der Blick ins Erbgut hat jedoch nur geringe Aussagekraft: Lediglich rund ein Prozent der individuellen Unterschiede in Sachen Elternschaft können Varianten in diesen Genregionen demnach erklären. Für Wissenschaftler sind die Ergebnisse trotzdem interessant – sie erhoffen sich zum Beispiel Erkenntnisse für die Reproduktionsmedizin.
Wann wir unser erstes Kind bekommen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Persönliche Entscheidungen und soziale Umstände spielen eine bedeutende Rolle dabei: Wollen wir erst Karriere machen oder möglichst früh mit der Familienplanung beginnen? Haben wir den richtigen Partner an unserer Seite – und können wir uns ein Kind finanziell leisten?
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Zeitpunkt der Elternschaft vor allem in den industrialisierten Ländern immer weiter nach hinten gerückt. Bekamen wir 1970 noch mit durchschnittlich 24 Jahren den ersten Nachwuchs, geschah dies im Jahr 2012 im Schnitt erst mit 29 – auch die Anzahl der kinderlosen Menschen steigt. Schuld an dieser Entwicklung sind gesellschaftliche Veränderungen, meinen Experten.
Blick ins Genom
Doch gibt es – unabhängig von den sozialen Faktoren, die das Kinderkriegen offensichtlich beeinflussen – auch eine biologische Komponente für unser Fortpflanzungsverhalten? Diese Frage hat sich nun ein internationales Forscherteam aus über 250 Wissenschaftlern unter der Leitung von Nicola Barban von der University of Oxford gestellt – und eine umfangreiche Meta-Analyse durchgeführt.
Für ihre Untersuchung werteten die Forscher Daten aus insgesamt 62 genomweiten Assoziationsstudien aus, um Zusammenhänge zwischen bestimmten Genvarianten im menschlichen Erbgut, dem Alter bei der Geburt des ersten Nachwuchses sowie der Gesamtzahl der bekommenen Kinder zu finden. Insgesamt konnten sie dabei für das Alter der ersten Elternschaft auf genetische Informationen von 238.064 Männern und Frauen zurückgreifen, für die Anzahl der Kinder auf Daten von 330.000 Probanden.
Zwölf auffällige Regionen
Tatsächlich zeigte die Analyse, dass die Gene in Sachen Elternschaft mitzumischen scheinen: Das Team entdeckte zwölf Stellen im Genom, die bei Männern, bei Frauen oder bei beiden Geschlechtern in einen signifikanten Zusammenhang mit den untersuchten Endpunkten gebracht werden können. „Zum ersten Mal wissen wir nun, wo wir DNA-Varianten finden, die mit dem menschlichen Fortpflanzungsverhalten in Verbindung stehen“, sagt Barbans Kollegin Melinda Mills.
Von einigen Varianten in diesen Genen ist bereits bekannt, dass sie die sexuelle Entwicklung beeinflussen: zum Beispiel, weil sie das Alter bestimmen, indem ein Mädchen seine erste Menstruation bekommt oder weil sie mit Unfruchtbarkeit in Verbindung stehen. Andere Gene bringen die Forscher nun zum ersten Mal mit dem Fortpflanzungsverhalten in Zusammenhang.
Geringe Aussagekraft – trotzdem relevant
Doch wie weit reicht der Einfluss dieser Gene? „Unsere Gene bestimmen unser Verhalten nicht vorher“, stellt Barban klar. „Sie können es aber bis zu einem gewissen Grad beeinflussen und sind somit ein kleines Teil in einem sehr großen Puzzle.“ Tatsächlich können Varianten in allen identifizierten Genstellen zusammen nur rund ein Prozent der individuellen Unterschiede in Sachen erste Elternschaft erklären, wie das Team berichtet. In puncto Familiengröße sind es sogar nur 0,2 Prozent.
Viel sagt der Blick in das Erbgut demnach nicht aus. Für Wissenschaftler mancher Fachdisziplinen könnten die neuen Erkenntnisse jedoch trotzdem von Bedeutung sein: Das Team erhofft sich durch die weiterführende Untersuchung der gefundenen Genstellen zum Beispiel neue Ansätze für die Behandlung von Unfruchtbarkeit zu entdecken oder Frauen mit Mutterwunsch Vorhersagen zu ermöglichen, wie lange sie mit einer Schwangerschaft warten können.
Außerdem glauben Barban und ihre Kollegen: „Je mehr genetische Daten in Zukunft zur Verfügung stehen, desto besser können wir das Alter der ersten Elternschaft und die Zahl der bekommenen Kinder prognostizieren.“ Fünfzehn bis zwanzig Prozent der persönlichen Unterschiede könnten künftig womöglich die Gene erklären, glauben sie. Doch eins bleibt klar: „Ob man ein Kind bekommt oder nicht hängt stark von sozialen und umwelttechnischen Faktoren ab – und die werden in der Regel immer eine größere Rolle spielen als die Gene“, sagt Mills. (Nature Genetics, 2016; doi: 10.1038/ng.3698)
(University of Oxford, 02.11.2016 – DAL)