„Unmögliche“ Struktur: Forscher haben erstmals einen „Baukasten“ entwickelt, mit dem sich Quasikristalle aus metall-organischen Verbindungen erzeugen lassen. Diese exotischen Strukturen könnte die Erforschung der noch immer rätselhaften Quasikristalle voranbringen, aber auch ganz neue Anwendungen ermöglichen, unter anderem als photonische Beschichtungen oder Magnete mit besonderen Eigenschaften, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Chemistry“ berichten.
Quasikristalle galten lange als absolut unmöglich. Denn in ihnen sind die Atome in einem Muster angeordnet, das den Regeln für Kristallstrukturen widerspricht. Normalerweise weisen Kristalle immer ein symmetrisches Grundmuster auf, bei dem sich die strukturelle Grundeinheit, beispielsweise ein Würfel oder ein Tetraeder, regelmäßig in alle Richtungen wiederholt.
Nicht so bei den 1981 vom US-Physiker Daniel Shechtman entdeckten Quasikristallen. Bei ihnen ist diese sogenannte Translationssymmetrie aufgebrochen: Es wechseln sich beispielsweise fünf- und sechseckige Grundeinheiten ab. Aus der Natur sind bisher nur zwei solcher Quasikristalle bekannt, beide wurden in Milliarden Jahre alten Meteoriten entdeckt.
Baukasten für metall-organische Quasikristalle
Zwar lassen sich einige Quasikristalle leicht künstlich herstellen, dennoch ist bisher nicht grundsätzlich bekannt, welche Varianten möglich sind und unter welchen Bedingungen weitere dieser exotischen Gebilde entstehen könnten. José Urgel von der Technischen Universität München und seine Kollegen haben nun eine Art Baukasten für Quasikristalle entwickelt, der helfen könnte, diese Fragen zu klären.
„Wir besitzen nun ein neues Set an Bausteinen, aus denen wir viele verschiedene neue quasikristalline Strukturen bauen können“, erklären die Physiker. „Diese Vielfalt eröffnet uns neue Möglichkeiten zu untersuchen, wie Quasikristalle entstehen.“ Erstmals ist es den Forschern damit gelungen, auch die für viele Anwendungen spannenden metall-organischen Verbindungen in quasikristalline Strukturen zu bringen.
Zwölffach-Symmetrie aus Drei- und Vierecken
Für ihr Experiment verknüpften sie Europium – ein Metall aus der Klasse der Lanthanoide – so mit organischen Verbindungen, dass auf einer Goldunterlage ein zweidimensionaler Quasikristall entstand. Aufnahmen mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops zeigten: Die Europium-Verbindung bildete ein Mosaik aus Drei- und Vierecken, die sich teilweise zu zwölffach-symmetrischen Gebilden zusammenlagern
Es entsteht ein komplexes Muster, ein kleines Kunstwerk auf atomarer Ebene. Dieser noch zweidimensionale Quasikristall lässt sich potentiell sogar zu einem dreidimensionalen Quasikristall erweitern, wie die Physiker berichten. Sie wollen nun gezielt die Bedingungen und Wechselwirkungen in dieser Verbindung modifizieren, um besser zu verstehen, unter welchen Bedingungen sich solche zweidimensionale Quasikristalle bilden.
Anwendungen in Optik und Magnetismus
Interessant sind solche Gebilde aber nicht nur für die Grundlagenforschung. Die neuen metall-organischen quasikristallinen Netzwerke könnten Eigenschaften besitzen, die sie für viele verschiedene Anwendungsgebiete interessant machen. „Wir haben uns nun eine neue Spielwiese erschlossen, auf der wir nicht nur Quasikristallinität erforschen, sondern auch neue Funktionalitäten erschaffen können, vor allem in den Bereichen Optik und Magnetismus“, sagt Koautor David Écija vom IMDEA Nanoscience in Madrid.
So könnte man quasikristalline Beschichtungen erzeugen, die Photonen besser weiterleiten oder nur bestimmte Wellenlängen durchlassen. Außerdem könnten die Wechselwirkungen der Lanthanoid-Bausteine in den neuen Quasikristallen helfen, magnetische Systeme mit ganz besonderen Eigenschaften zu entwickeln: sogenannte „frustrierte Systeme“.
Hier stören sich die einzelnen Atome eines Kristallgitters so, dass an einem Gitterpunkt kein Energieminimum erreicht werden kann. Die Folge sind exotische magnetische Grundzustände, die beispielsweise als Informationsspeicher für künftige Quantencomputer erforscht werden. (Nature Chemistry, 2016; doi: 10.1038/nchem.2507)
(Technische Universität München, 14.07.2016 – NPO)