Psychologie

Mitgefühl mit Fremden kann man lernen

Überraschend positive Erfahrungen erhöhen Empathie für fremde Gruppen

Größeres Mitgefühl für Fremde entsteht durch positive Erfahrungen wie überraschende Hilfsbereitschaft. © FreeImages.com / Marco Michelini

„Was geht mich fremdes Elend an?“ Diese Haltung gegenüber Menschen fremder Kulturen und Flüchtlingen lässt sich überwinden: Behandelt uns ein Fremder überraschend hilfsbereit, steigert das unser Mitgefühl. Neurowissenschaftler haben mit Gehirnscans herausgefunden, dass sich diese hinzugelernte Empathie auf die ganze Gruppe ausdehnt, der wir den fremden Wohltäter zuordnen. Schon wenige positive Lernerfahrungen reichen aus, um empathischer zu werden, schreiben die Forscher im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Ein Unfall vor der eigenen Haustür oder eine Flutkatastrophe am anderen Ende der Welt – das Unglück anderer Menschen betrifft uns umso stärker, je näher uns diese Menschen stehen. Dieses unterschiedlich ausgeprägte Mitgefühl kann sogar so weit gehen, dass wir mehr Mitleid mit Haustieren als mit fremden Menschen haben. Die fehlende Empathie für „den Fremden“ steht auch hinter vielen Konflikten zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten und Kulturen – und nicht zuletzt mit den zu uns kommenden Flüchtlingen.

Stereotypen bestimmen eigene und fremde Gruppe

Mehr Mitgefühl für Mitglieder anderer Gruppen könnte daher ein friedliches Miteinander fördern. Psychologen und Neurowissenschaftler um Grit Hein von der Universität Zürich haben darum untersucht, ob man Mitgefühl für Fremde erlernen kann, und wie positive Erfahrungen mit Anderen die empathischen Reaktionen unseres Gehirns beeinflussen. Die Forscher gaben zunächst vor, Stereotypen über Menschen aus der Schweiz und aus den Balkanstaaten zu untersuchen: Sie befragten 40 junge Männer aus der Schweiz, welche Eigenschaften sie für „typisch Schweiz“ oder „typisch Balkan“ hielten.

Den so auf diese Stereotypen gepolten Probanden verabreichten die Wissenschaftler anschließend schmerzhafte Schocks am Handrücken. Die Studienteilnehmer machten dann aber die Erfahrung, dass ein anderer Teilnehmer Geld bezahlte, um ihnen weiteren Schmerz zu ersparen. Dieser Wohltäter war jedoch in Wahrheit ein Wissenschaftler, der je nach Experiment ein Namensschild mit einem stereotypischen Namen trug – entweder aus der Schweiz oder vom Balkan. Er stammte also aus Sicht der Probanden entweder aus der „eigenen“ oder der „fremden“ Gruppe.

Vor und nach diesen Erfahrungen erfassten die Forscher außerdem die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie. Im eigentlichen Test beobachteten die Teilnehmer , wie andere Personen die schmerzhaften Reize erhielten. Dies waren ebenfalls Mitglieder ihrer eigenen Gruppe oder Wissenschaftler, die als „Fremde“ auftraten.

Erlerntes Mitgefühl für die ganze Fremdgruppe

Das Ergebnis: Zu Beginn der Studie reagierten die Probanden entsprechend den Erwartungen schwächer auf den Schmerz eines Fremden, als wenn ein Mitglied der eigenen Gruppe betroffen war. Doch bereits wenige positive Erfahrungen mit einer Person der Fremdgruppe machten die Männer auch den Fremden gegenüber mitfühlender. Dieser empathische Lerneffekt war offenbar am größten, wenn die Probanden vom Verhalten des Fremden besonders positiv überrascht waren, wie die Hirnaktivität zeigte.

Wichtig daran ist den Forschern zufolge, dass die positiven Erfahrungen nicht nur das Mitgefühl gegenüber dem Wohltäter selbst steigern. Die hinzugelernte Empathie geht darüber hinaus, erklärt Neurowissenschaftlerin Hein: „Diese Ergebnisse zeigen, dass positive Erfahrungen mit einem Fremden auf andere Mitglieder dieser Gruppe übertragen werden und die Empathie für diese Gruppe steigern.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1514539112)

(Universität Zürich, 22.12.2015 – AKR)

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