Mikrobiologie

Stickstoff-Fresser überraschen Mikrobiologen

Oxidation von Ammoniak zu Nitrat in "Commamox"-Bakterien widerlegt bisherige Lehrbuchmeinung

Fluoreszenzmikroskopie von Kolonien der nitrifizierenden "Commamox"-Bakterien der Gattung Nitrospira (pink) und anderer Bakterien (grün) im Schlamm aus einer Kläranlage. © Holger Daims

Zwei in einem: Erstmals haben Mikrobiologen ein Bakterium aufgespürt, dass zwei wichtige Schritte des Stickstoffkreislaufs zugleich beherrscht. Dies widerlegt die seit über hundert Jahren geltende Lehrbuchmeinung, dass dazu stets mindestens zwei verschiedene Mikroorganismen nötig sind – dabei wurden die Stickstoff-Allrounder offenbar bloß jahrzehntelang übersehen. Die Entdeckung dieser „Commamox“-Organismen stellt einen Meilenstein der Mikrobiologie dar, schreiben die Forscher im Journal „Nature“.

Für alle Lebewesen ist Stickstoff ein zentraler Baustein für wichtige Moleküle wie Proteine und DNA. Doch der Stickstoff, der rund 80 Prozent unserer Atmosphäre ausmacht, lässt sich nicht so ohne weiteres nutzen: Das Gas ist chemisch sehr stabil und lässt sich nur mit großem Aufwand in brauchbare Stickstoffverbindungen wie Nitrat überführen. Solche Verbindungen sind darum Bestandteile des für die moderne Landwirtschaft wichtigen, im Übermaß aber schädlichen Stickstoffdüngers.

Ohne Dünger sind die Pflanzen, und darauf aufbauend auch alle höheren Lebewesen, auf die Hilfe von spezialisierten Mikroorganismen angewiesen. Diese produzieren Nitrat aus einer anderen Stickstoffverbindung, dem Ammonium. Dieses tritt aus verrottender Biomasse aus oder wird von Knöllchenbakterien aus Luftstickstoff produziert, es ist aber ebenfalls in vielen Sorten von Stickstoffdünger enthalten.

Rätselhafte Nitrifizierung in zwei Schritten

Die sogenannten nitrifizierenden Bakterien wandeln dann in zwei Schritten Ammonium in Nitrat um: Zunächst oxidieren spezialisierte Mikroorganismen das Ammonium zu Nitrit. Andere Bakterien übernehmen den zweiten Schritt und oxidieren Nitrit weiter zu Nitrat. Zumindest ist dies die seit über hundert Jahren geltenden Sichtweise: Die Nitrifizierung funktioniert nur in Zusammenarbeit verschiedener Bakterienarten.

Stickstoffkreislauf: Die "Commamox"-Organismen beherrschen zwei Schritte auf einmal. © Johann Dréo / (CC BY-SA 2.0 FR)

Doch warum dies so ist, war Mikrobiologen bislang ein Rätsel: Denn eigentlich wäre es für ein einzelnes Bakterium vorteilhaft, beide Schritte durchzuführen, da sich so mehr Energie gewinnen ließe. Für diesen spekulativen Nitrifizierer gab es sogar bereits einen Namen: „Comammox“, für „complete ammonia oxidizer“, also vollständiger Ammonium-Oxidierer. Gefunden hatte solche Mikroben jedoch noch niemand. Es war mehr als ein Jahrhundert lang ungeklärt, ob „Comammox“ tatsächlich existiert.

Überraschung im Öl-Bohrloch

Ein internationales Team von Mikrobiologen um Holger Daims von der Universität Wien hat das Comammox-Rätsel nun jedoch gelöst. Die Forscher untersuchten eine Bakterienkultur aus einem 1.200 Meter tiefen Öl-Bohrloch in Russland. Obwohl diese Kultur Ammonium vollständig zu Nitrat umsetzte, fanden sich darin nur Bakterien einer einzigen Sorte, der Gattung Nitrospira. Diese galten bislang als strikte Nitrit-Oxidierer, die also nur den zweiten Schritt der Nitrifikation beherrschen, nicht aber den ersten.

„Das war ein unglaublich spannender Moment: Alle ahnten, dass in dieser Kultur etwas Neues stecken musste“, sagt Daims. „Aber noch wussten wir nicht, wie groß die Überraschung sein würde.“ Erst die komplette Analyse des Erbguts aller Bakterienarten in der Kultur brachte die Antwort: „Die Nitrospira-Bakterien besaßen alle Gene für die Oxidation von Ammoniak und von Nitrit, also für die komplette Nitrifikation“, erklärt Studienleiter Michael Wagner von der Universität Wien, und bestätigt: „Das musste der seit langem gesuchte Comammox-Organismus sein.“

Neues Kapitel der Mikrobiologie jahrzehntelang übersehen

Weitere Gewissheit brachten physiologische Experimente mit der Bakterienkultur sowie eine Analyse der darin vorhandenen Proteine. Überraschend ist auch, dass die Bakterien selbst keineswegs unbekannt sind, eher im Gegenteil: „Nitrospira sind seit langem bekannte Nitrit-Oxidierer, die fast überall vorkommen“, sagt Wagner. „Dass manche Nitrospira Comammox-Bakterien sind, wurde jahrzehntelang übersehen.“

Die nun enttarnten Comammox-Nitrospira sind keine Exoten: Die Forscher haben diese Bakterien mittlerweile in vielen Böden, Gewässern und Kläranlagen nachgewiesen. „Mit diesem Befund beginnt ein neues Kapitel der Umwelt-Mikrobiologie“, so Erstautor Daims. „Unser Bild des Stickstoffkreislaufs, der für alles Leben auf der Erde essentiell ist, war offenbar unvollständig. Wir müssen nun die Eigenschaften von Comammox und ihre Bedeutung in der Natur und in Kläranlagen genauer untersuchen.“ (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature16461)

(Universität Wien, 27.11.2015 – AKR)

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